BGH: Kürzung des Krankentagegelds wegen PKV-Beitragsrückstand

Darf ein Versicherer zur Tilgung von Beitragsrückständen in der privaten Krankenversicherung Leistungen aus der Krankentagegeldversicherung heranziehen und diese einfach kürzen? Dazu hat sich der BGH geäußert.

Ein privat Krankenversicherter hatte seit August 2016 keine Beiträge mehr für seinen Versicherungsvertrag gezahlt. Ende Oktober 2016 teilte die Versicherung mit, dass sie die offenen Beitragsforderungen für die Vollversicherung mit dem Anspruch des Versicherten gegen einen Krankentagegeldanspruch aufrechnen werde, so dass kein Beitragsrückstand mehr bestehe.

Versicherer verrechnet Beitragsrückstände mit  Krankentagegeldversicherung

Im Mai 2017 – der Versicherte hatte weiterhin keine Beiträge gezahlt – verrechnete die Versicherung erneut Beitragsrückstände in der Vollversicherung gegen einen weiter bestehenden Krankentagegeldanspruch des Versicherten.

Endet der Notlagentarif durch die Aufrechnung?

Der Versicherte hielt diese Aufrechnungen für unwirksam. Er sei zudem ab März 2017 nur noch im Notlagentarif versichert gewesen, der durch die Aufrechnung der Versicherung vom 9. Mai 2017 mangels Zahlung i.S.v. § 193 Abs. 9 Satz 1 VVG nicht beendet worden sei, argumentierte er.

BGH: Aufrechnung ist zulässig

Der BGH hat entschieden, dass die von der Versicherung vorgenommenen Aufrechnungen gemäß § 394 Satz 2 BGB wirksam waren. Aus dieser Vorschrift ergebe sich die grundsätzliche Zulässigkeit der Aufrechnung mit einer Prämienforderung des Versicherers.

Zwar finde eine Aufrechnung, soweit eine Forderung nicht der Pfändung unterworfen ist, nicht statt (§ 394 Satz 1 BGB). Gegen die aus Kranken-, Hilfs- oder Sterbekassen, insbesondere aus Knappschaftskassen und Kassen der Knappschaftsvereine, zu beziehenden Hebungen können aber geschuldete Beiträge aufgerechnet werden (§ 394 Satz 2 BGB).

Formal selbstständige Verträge sprechen nicht gegen Aufrechnung

Eine Aufrechnung mit Prämienforderungen aus der Krankheitskostenversicherung gegen Krankentagegeldansprüche sei selbst dann zulässig, wenn es sich bei den beiden Versicherungen formal um selbstständige Verträge handele (vgl. § 192 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 5 VVG), die unter einer einheitlichen Vertragsnummer geführt werden. Das gelte auch dann, wenn es in der Krankentagegeldversicherung keine Beitragsrückstände gab.

Das Gesetz fordere nicht, dass die Beitragsforderung, die aufgerechnet werden soll, den Vertrag betrifft, aus dem der Leistungsanspruch des Versicherungsnehmers resultiert. Es ist daher dem Grunde nach möglich, Beitragsforderungen aus verschiedenen Versicherungsverträgen gegeneinander aufzurechnen und zu befriedigen, wenn sich dieselben Rechtssubjekte im Sinne eines Gegenseitigkeitsverhältnisses gegenüberstehen.

Wegen der Aufrechnung endet auch der günstige Notlagentarif

Für den Versicherten ergibt sich aus der Aufrechnung eine zusätzliche nachteilige Konsequenz: Da die Aufrechnung vom 9. Mai 2017 wirksam war, endete mit ihr auch das Ruhen der Krankenversicherung gemäß § 193 Abs. 9 Satz 1 VVG. Der Versicherungsnehmer war deshalb ab Juli 2017 verpflichtet, wieder den deutlich höheren Normaltarif für seine Krankenvollversicherung zu zahlen.


BGH, Urteil v. 29.09.2021 (IV ZR 99/20)


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