Anordnung des Wechselmodells auch beim Umgangsrecht möglich
Diese Möglichkeit des Wechselmodells hat der BGH in einer Grundsatzentscheidung beschlossen, die von der bisherigen Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte abweicht.
Eltern waren gemeinsam Sorge berechtigt
Die Eltern des im April 2003 geborenen Sohnes waren gemeinsam Sorge berechtigt. Überwiegend hielt sich der Sohn bei der Mutter auf. Nach einer zwischen den Eltern getroffen Umgangsregelung aus dem Jahre 2003 war dem Vater ein Umgangsrecht alle 14 Tage am Wochenende eingeräumt worden. Der Umgang während der Ferienzeiten wurde in der Regel einvernehmlich festgelegt.
Vater erstrebte paritätische Umgangsregelung
Die vereinbarte Umgangsregelung genügte dem Vater in der Folgezeit nicht mehr.
Der Vater strebte eine paritätische Umgangsregelung im Sinne eines paritätischen Wechselmodells an.
Mit einer solchen Regelung war die Mutter allerdings nicht einverstanden.
Vater wollte halbe-halbe Umgangsregelung
Der Vater wollte eine Regelung,
- wonach er den Sohn im regelmäßigen Turnus abwechselnd von Montag nach Schulschluss bis zum folgenden Montag bis zum Schulbeginn zu sich nimmt
- sowie eine gleiche Aufteilung der Ferien und der Feiertage.
Sowohl das AG als auch das OLG wiesen den hierauf gerichteten Antrag des Vaters zurück.
Das OLG stellte explizit fest, dass die Anordnung eines so weitgehenden paritätischen Wechselmodells im Rahmen einer Umgangsregelung rechtlich nicht möglich sei.
Kindeswohl im Vordergrund
Der Rechtsauffassung des OLG erteilte der BGH nun eine klare Absage. Der BGH-Senat stellte für die Umgangsregelung entscheidend auf die Bestimmung des § 1684 BGB ab.
- Hiernach habe ein Kind das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil,
- während umgekehrt die Eltern alles zu unterlassen hätten,
- was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigen oder erschweren könne.
Entscheidender Maßstab für eine gerichtliche Regelung sei das Kindeswohl.
Grundsätzlich Anhörung des Kindes erforderlich
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Familiengericht nach Auffassung des BGH
- unter Berücksichtigung des grundgesetzlich garantierten Elternrechts
- eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu treffen.
- Hierbei unterliege das familiengerichtliche Verfahren gemäß § 26 FamFG dem Grundsatz der Amtsermittlung.
- Gemäß § 159 FamFG sei ein Kind, welches das 14. Lebensjahr vollendet hat, persönlich anzuhören.
Ein Kind unter 14 sei ebenfalls dann anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind (BGH, Beschluss v. 15.6.2016, XII ZB 419/15).
Umgangsrecht ist durch Gesetz zeitlich nicht begrenzt
Ausdrücklich wies der BGH darauf hin, dass das Familiengericht das Verfahren nicht ohne eine den Umgang ausgestalten Regelung, also insbesondere nicht durch bloße Zurückweisung des von einem Elternteil gestellten Antrags, beenden darf.
Im Hinblick auf den im Vordergrund stehenden Aspekts des Kindeswohls enthält das Gesetz nach Auffassung des BGH auch keine Einschränkung des Umgangsrechts dahingehend, dass vom Gericht angeordneten Umgangskontakte nicht zu hälftigen Betreuungsanteilen der Eltern führen dürften.
- Eine zeitliche Begrenzung des Umgangsrechts sei dem Gesetz nicht zu entnehmen.
- Insbesondere sehe das Gesetz auch keine Festlegung der Kindesbetreuung auf das Residenzmodell vor, wonach ein Elternteil das Kind überwiegend betreut, während der andere lediglich ein zeitlich begrenztes Umgangsrecht ausübt.
- Wenn die gesetzliche Regelung sich auch erkennbar am Residenzmodell orientiere, so beruhe dies im wesentlichen auf der praktischen Erwägung, dass das Residenzmodell die häufigste Gestaltung der elterlichen Sorge und des Umgangsrechts darstellt. Dies bedeute aber nicht, dass das Residenzmodell das gesetzliche Leitbild sei.
Umgangsrecht bedeutet immer eine Einschränkung des Sorgerechts
Im übrigen wies der Senat darauf hin, dass eine zum paritätischen Wechselmodell führende Umgangsregelung grundsätzlich auch mit dem gemeinsamen Sorgerecht im Einklang steht. Die Festlegung des gesetzlichen Umgangsrechts stelle grundsätzlich immer eine quantitative Einschränkung des Sorgerechts dar. Dies sei der gesetzlichen Systematik immanent. Werde das Umgangsrecht auf eine paritätische Umgangsregelung ausgedehnt, so bedeute dies in der Systematik des Gesetzes keine Verringerung des Sorgerechts.
Es handele sich lediglich eine quantitative Ausdehnung des Umgangsrechts, ohne dass damit qualitativ das Sorgerecht in stärkerer Weise beeinträchtigt werde als durch eine zeitlich engere Regelung.
Konsens der Eltern ist nicht zwingend
Der BGH stellte klar, dass ein Konsens der Eltern über die Betreuung des Kindes im Wechselmodell grundsätzlich für die Anordnung eines solchen Modells keine zwingende Voraussetzung ist (BGH, Beschluss v. 5.10.2016, XII ZB 280/15). Der Wille der Eltern dürfe nicht über das Kindeswohl gestellt werden. Im Ergebnis sei daher das Wechselmodell immer dann anzuordnen,
- wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspricht.
- Hierbei sei zu berücksichtigen, dass beim Wechselmodell gegenüber herkömmlichen Umgangsmodellen höhere Anforderungen an die Eltern und an das Kind gestellt würden.
- Immerhin müsse das Kind bei doppelter Residenz ständig zwischen zwei Haushalten pendeln und sich auf zwei Lebensumgebungen einstellen.
- Außerdem setze das Wechselmodell eine grundsätzliche Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus. Die Anordnung des Wechselmodells zu dem Zweck, diese Voraussetzungen erst herbeizuführen, entspreche dem Kindeswohl in der Regel aber nicht.
- Deshalb dient nach Auffassung des BGH das Wechselmodell nur dann dem Kindeswohl, wenn eine auf sicherer Bindung beruhende tragfähige Beziehung zu beiden Elternteilen besteht.
Wille des Kindes darf nicht übergangen werden
Ein wesentlicher Aspekt bei der Anordnung eines Wechselmodell ist nach dem Diktum des BGH mit zunehmendem Alter der vom Kind geäußerte Wille. Die Anhörung des Kindes durch das Gericht sei dementsprechend unabdingbar.
Dies gelte besonders im Hinblick auf die erforderliche Klärung der Frage, ob das Kind sich in mögliche Konflikte der Eltern hineingezogen fühle.
Wichtig sei die Vermeidung von Koalitionsdruck und Loyalitätskonflikten. Ob das Familiengericht in diesem Fall neben der gebotenen persönlichen Anhörung des Kindes im Rahmen der Amtsermittlung zusätzlich ein Sachverständigengutachten eingeholt, sei im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens im Einzelfall zu prüfen.
OLG muss die offenen Fragen klären
Den vom BGH als wesentlich erkannten sachlichen und rechtlichen Erfordernissen wurden die vorinstanzlichen Entscheidungen nicht gerecht. Insbesondere war das OLG rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass eine Umgangsanordnung im Sinne eines paritätischen Wechselmodells von Rechts wegen nicht möglich ist. Aus diesem Grunde hat das BGH die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen
(BGH, Beschluss v. 1.2.2017, XII ZB 601/15).
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