BGH zur Ausgleichspflicht eines vor dem Erbfall beschenkten Erben
Der Fall kommt in der Praxis nicht ganz selten vor: Eheleute errichten ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich wechselseitig zu Erben einsetzen und ihre Kinder zu gleichen Teilen als Erben des Längstlebenden. So war es auch in dem vom BGH entschiedenen Fall. Nach Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments verstarb zuerst die Ehefrau. Danach übertrug der Ehemann sein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück auf seine Tochter. Der Erblasser ließ sich an dem gesamten Grundstück ein
- lebenslanges Nießbrauchsrecht einräumen und
- behielt sich unter näher genannten Voraussetzungen ein vertragliches Rücktrittsrecht vor.
- Zudem vereinbarte er mit seiner Tochter, dass sie ihn Zeit seines Lebens bei entsprechendem Bedarf in seiner Wohnung vollständig und unentgeltlich pflegt und betreut bzw. ihn kostenlos pflegen oder betreuen lässt.
Bruder verklagt Schwester
Der einzige weitere Nachkömmling, der Sohn des Erblassers, ging zu diesem Zeitpunkt leer aus. Der Erblasser verstarb im August 2012. Bis kurz er seinem Tod hatte er in dem Haus gewohnt, pflegebedürftig wurde er nicht. Im November 2012 veräußerte die Schwester das Grundstück für 120.000 Euro. Wegen der aus seiner Sicht beeinträchtigenden Schenkung nahm der Bruder seine Schwester gerichtlich auf Zahlung von 60.000 Euro nebst Zinsen in Anspruch. Erstinstanzlich hatte er vor dem LG im wesentlichen Erfolg, die hiergegen von der Schwester eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen. Auf die seitens der Schwester eingelegte Revision hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Erbvertragliche Vorschrift analog anwendbar
Der BGH stützte seine Entscheidung maßgeblich auf § 2287 Abs. 1 BGB. Diese nach ihrem Wortlaut ausschließlich für Erbverträge geltende Regelung sieht einen Herausgabeanspruch des Beschenkten nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung vor, wenn der Erblasser in der Absicht, den Vertragserben zu beeinträchtigen, eine Schenkung gemacht hat. Der BGH stellte insoweit klar, dass die Vorschrift auf wechselbezügliche letztwillige Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments, das nach dem Tod des erstverstorbenen Ehegatten unwiderruflich geworden ist, entsprechend anzuwenden ist (BGH, Beschluss v. 26.10.2011, IV ZR 72/11).
Nießbrauch minderte den Grundstückswert
Der BGH rügte in seiner Entscheidung eine unpräzise Prüfung der Voraussetzungen der Vorschriften durch die Vorinstanzen. So sei bereits versäumt worden, das Merkmal „Schenkung“ sorgfältig und unabhängig von der Frage der Benachteiligungsabsicht zu prüfen. Nach Ansicht des Senats führte der dem Erblasser eingeräumte Nießbrauch als dingliche Belastung von vornherein zu einer Minderung des Wertes des schenkungsweise zugewendeten Grundstücks (BGH, Urteil v. 6.3.1996, IV ZR 174/94). Der Wert des Nießbrauchs sei entgegen der Auffassung der Vorinstanz mit einem kapitalisierten Wert der hieraus zu ziehende Nutzungen einzusetzen und entsprechend vom Wert des Grundstücks in Abzug zu bringen.
Pflegeverpflichtung als weiterer Abzugsfaktor
Ein weiterer Rechtsfehler des OLG lag nach Auffassung des BGH darin, dass dieses die Vereinbarung der Pflegeverpflichtung der Tochter nicht berücksichtigt hatte. Zu Unrecht habe das Berufungsgericht darauf abgestellt, dass der Erblasser zu keinem Zeitpunkt pflegebedürftig geworden sei. Diese Begründung verkenne, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Berechnung des Wertes der vertraglich versprochenen Pflegeleistungen nicht der Todeszeitpunkt, sondern der Zeitpunkt der Vereinbarung war (BGH, Urteil v. 11.4.2000, X ZR 246/98). Maßgeblich für die Bewertung der Pflegeverpflichtung sei eine Prognoseentscheidung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Zu diesem Zeitpunkt sei der Eintritt eines Pflegefalls zumindest nicht unwahrscheinlich gewesen. Im Ergebnis sei daher - ähnlich der Bewertung des Nießbrauchs - eine Berechnung des Wertes der Pflegeverpflichtung im Hinblick auf die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unter Berücksichtigung des Alters des Erblassers zu erwartenden voraussichtlichen Pflegeleistungen vorzunehmen. Auch hierdurch werde der Wert der Schenkung insgesamt deutlich gemindert.
Auch Rücktrittsrecht kann Wert der Grundstücksübertragung mindern
Schließlich ist nach dem Diktum des BGH zu bewerten, inwieweit das dem Erblasser vorbehalten Rücktrittsrecht als wirtschaftlicher Nachteil wertmindernd in Rechnung zu stellen ist. Die Voraussetzungen hierfür seien allerdings in tatsächlicher Hinsicht von den Vorinstanzen nicht hinreichend geprüft worden. Vor diesem Hintergrund verwies der BGH den Rechtstreit zur weiteren Aufklärung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück, allerdings nicht ohne diesem in ungewöhnlich dezidierter Form eine ganze Reihe rechtlicher Vorgaben zu machen. So forderte der BGH das Berufungsgericht auf, folgende Punkte zu berücksichtigen:
- Zunächst sei zu prüfen, ob eine gemischte Schenkung im Sinne des § 2287 BGB vorliegt.
- Danach sei festzustellen, ob der Erblasser in Benachteiligungsabsicht gehandelt habe.
Vorgaben des BGH für die Prüfung der Benachteiligungsabsicht
Eine Benachteiligungsabsicht ist nach den Hinweisen des Senats nur dann gegeben,
- wenn der Erblasser das ihm verbliebene Recht zu lebzeitigen Verfügungen missbraucht hat.
- Ein Missbrauch des Verfügungsrechts liege nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich dann nicht vor, wenn der Erblasser ein lebzeitiges Eigeninteresse an der Schenkung gehabt habe (BGH, Beschluss v. 26.10.2011, IV ZR 72/11).
- Ein zulässiges Eigeninteresse ist nach den Vorgaben des BGH dann anzunehmen, wenn nach dem Urteil eines objektiven Beobachters die Verfügung in Anbetracht der gegebenen Umstände auch unter Berücksichtigung der vertraglichen Bindung als billigenswert und gerechtfertigt erscheint, beispielsweise wenn es dem Erblasser um seine Versorgung und Pflege im Alter geht oder auch dann, wenn der Erblasser zum Zwecke der Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung handelt.
- Der BGH ließ es sich nicht nehmen, die Vorinstanz auch sogleich über die Beweislastregel für diesen Fall zu belehren. Beweispflichtig für die Schenkung ohne rechtfertigendes lebzeitiges Eigeninteresse sei der Vertrags- bzw. Schlusserbe.
Recht des Erblassers auf Schenkung
Schließlich stellte der BGH auch noch klar, dass die Vereinbarung, wonach eine Pflege durch den Beschenkten nur bei Bedarf erfolgen soll und zum Zeitpunkt der Übertragung des Grundstücks nicht klar gewesen sei, ob eine solche Pflege überhaupt jemals erforderlich sein würde, das lebzeitige Eigeninteresse nicht beseitige. Dem Erblasser sei in einem solchen Fall das Recht zugestehen, dass er eine ihm nahestehende Person durch eine Schenkung an sich binde und hierdurch seine Versorgung und Pflege im Alter zu sichern suche. Anders liege der Fall nur dann, wenn der hierfür darlegungs- und beweispflichtige weitere Erbe nachweise, dass ein Eigeninteresse tatsächlich überhaupt nicht bestanden habe oder die vorgebrachten Gründe seitens des Erblassers nur vorgeschoben wurden, um die benachteiligenden Wirkungen der Schenkung zu kaschieren.
BGH verweist auf die Option einer Teils/teils Entscheidung
Der BGH zog auch die Erwägung in Betracht, dass ein lebzeitiges Eigeninteresse nicht zwingend für den gesamten Schenkungsgegenstand angenommen werden müsse, sondern auch lediglich einen Teil der Schenkung rechtfertigen könne (BGH, Beschluss v. 26.10.2011, IV ZR 72/11). Vor diesem Hintergrund forderte der BGH von der Vorinstanz eine umfassende Gesamtabwägung sämtliche Aspekte. Sollte die Vorinstanz dazu kommen, einen Anspruch des Klägers zu bejahen, so habe das Gericht bei der Wertberechnung des Grundstücks auf die Wertverhältnisse zum Zeitpunkt der Zuwendung unter Berücksichtigung des Kaufkraftschwundes abzustellen.
Gemeinschaftliches Testament nur mit qualifizierter Beratung zu empfehlen
Damit hat der BGH den Weg, den die Vorinstanz bei der weiteren Entscheidungsfindung zu gehen hat, in ungewöhnlich dezidierter Weise vorgezeichnet. Die Ansprüche des Sohnes dürften hiernach mit hoher Wahrscheinlichkeit - wenn nicht komplett entfallen - so doch einer erheblichen Kürzung zu unterziehen sein.
(BGH, Urteil v. 28.9.2016, IV ZR 513/15)
- zu Auslegungen und Unklarheiten
Keine Auslegung eines widersprüchlichen und völlig unklaren Testaments
Mündliche Erklärungen des Erblassers
und
Anmerkung: Das BGH-Urteil macht die Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments in der Praxis nicht leichter. Das Urteil zeigt, wie mannigfach und komplex die bei Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments anzustellenden Erwägungen sein müssen. Eine qualifizierte juristische Beratung ist für solche Fälle dringend zu empfehlen.
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