Arglist-Indizien und fiktive Schadensberechnung beim Immobilienkauf
Die Kläger, Käufer einer Immobilie, nahmen die beklagte Verkäuferin auf Schadenersatz in Höhe von knapp 60.000 Euro in Anspruch. Das Objekt war von einem von der Beklagten beauftragten Makler angeboten worden. Das Angebot enthielt keine Hinweise auf irgendwelche Mängel. Im Exposee wurde das Objekt als „voll bewohnbar mit Ausbaureserve im Obergeschoss“ dargestellt.
Holzbock, Kellerschwamm und Schimmel nicht bemerkt
Dem Abschluss des Kaufvertrages ging eine ausführliche Besichtigung der Immobilie voraus.
- Nach der Übergabe stellten die Kläger fest, dass Dachtreppe und Dachstuhl massiv vom Holzbock befallen waren.
- Während der Besichtigung waren Teile dieser schadhaften Stellen mit Folie abgeklebt.
- Außerdem war das Gebäude massiv vom Kellerschwamm befallen.
- Teile der Wände in der Küche waren feucht und wiesen Schimmelpilzbildung auf.
Eine besonders betroffene Wand war zum Zeitpunkt der Besichtigung mit Korkplatten verkleidet.
Schadensberechnung aufgrund fiktiver Mängelbeseitigungskosten
Ein von den Klägern eingeschalteter Privatgutachter bestätigte die schadhaften Stellen und schätzte die Kosten für die Sanierung auf knapp 60.000 Euro. Auf Grundlage dieser voraussichtlichen Sanierungskosten sowie der Auslagen für den Sachverständigen errechneten die Kläger den von ihnen geltend gemachten Schadensersatzanspruch.
Kaufvertrag mit Gewährleistungsausschluss
Die Kläger stützten ihre Forderung auf eine von ihnen behauptete arglistige Täuschung seitens der Beklagten beim Verkauf der Immobilie. Der notarielle Kaufvertrag vom Juli 2015 sah allerdings einen Gewährleistungsausschluss für „die Beschaffenheit, Güte und Größe“ der Immobilie vor und enthielt im übrigen die Versicherung der Verkäuferin, dass ihr wesentliche, auch versteckte Mängel nicht bekannt sind.
LG weist Klage aus Beweisgründen ab
Erstinstanzlich wies das LG die Schadensersatzklage der Kläger ab mit der Begründung, die Kläger hätten nicht hinreichend Beweis für die Kenntnis der Beklagten von den Mängeln angeboten. Die von den Klägern eingelegte Berufung führte zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und Zurückverweisung an das LG.
OLG sieht starke Indizien für Arglist
Nach Auffassung des OLG kam nach dem Sachvortrag der Kläger ein Anspruch auf Schadenersatz wegen arglistigen Verschweigens von Mängeln gemäß §§ 437 Nr.3, 280 Abs. 1, 442, 444 BGB ernsthaft in Betracht..
Die Kläger hätten schlüssig dargelegt,
- dass die Beklagte als langjährige Bewohnerin des Objekts die massiven Bauschäden hätte kennen müssen
- und eindeutige Maßnahmen zur Vertuschung und zur Beschönigung der Schäden vorgenommen habe.
Hierfür hätten die Kläger hinreichend Beweis angetreten durch Zeugnis des Maklers und einer Nachbarin.
Beweis innerer Tatsachen wie der Kenntnis von Mängeln kann durch Indizien gelingen
Nach Auffassung des Senats hatte das LG nicht hinreichend gewürdigt, dass die Kenntnis von Mängeln auf Verkäuferseite eine subjektive, innere Tatsache ist, die in der Regel nur durch äußere Indizien nachgewiesen werden kann. Solche Indizien hätten die Kläger substantiiert vorgetragen. Dies seien:
- Das langjährige Bewohnen der Immobilie durch die Beklagte selbst,
- das Abkleben der vom Holzbock befallenen Holzteile
- sowie dem Verkauf vorausgegangene Gespräche der Beklagten mit Dritten (Nachbarn) über die aufgetretene Feuchtigkeit.
- Außerdem habe die Beklagte bei der Besichtigung des Gebäudes für die abgeklebten Bauteile die auf den ersten Blick plausible Erklärung abgegeben,
- sie habe keine Splitter an den Holzverkleidungen reißen wollen und damit eine Überprüfung verhindert.
Für das Vorliegen dieser eine Arglist begründenden Indizien hätten die Kläger Beweis angetreten. Diese Beweisangebote hätte das LG nachgehen müssen.
Gewährleistungsausschluss hilft der Verkäuferin nicht
An diesem Ergebnis ändert nach Auffassung des OLG auch der in der notariellen Urkunde enthaltene Gewährleistungsausschluss nichts.
- Zwar sei der Gewährleistungsausschluss gemäß § 444 BGB grundsätzlich möglich und wirksam gewesen,
- ein Haftungsausschluss sei jedoch unwirksam, wenn die Verkäuferseite einen ihr bekannten Mangel arglistig verschweigt,
- ebenso bei Angaben ins Blaue hinein
- oder bei Zerstreuen von Bedenken durch falsche, verharmlosende Erklärungen.
Aufklärungspflicht bei nicht erkennbaren Mängeln
Der Verkäufer einer Immobilie müsse Umstände, die für den Kaufentschluss des Käufers erheblich sind, von sich aus offenbaren, wenn er sie kennt oder zumindest für möglich hält. Dabei betreffe die Aufklärungspflicht lediglich solche Mängel nicht, die einer Besichtigung zugänglich und damit ohne weiteres erkennbar sind.
Im übrigen enthalte der Kaufvertrag ja auch die Versicherung der Beklagten, dass ihr wesentliche Mängel nicht bekannt seien.
Holzbock ist auch in einem 80 Jahre alten Gebäude ein Mangel
Schließlich ließ das OLG keinen Zweifel daran, dass die vorgebrachten Beanstandungen wie
- Holzbock mit zum Teil noch lebenden Larven,
- die massive Durchfeuchtung der Wände,
- Kellerschwamm,
- Schimmel in der Küche auch bei einem 75 - 80 Jahre alten unrenovierten Gebäude
Sachmängel darstellen, die über die normale Abnutzung des Gebäudes hinausgehen.
Fiktive Schadensberechnung ist unzulässig
Ergänzend hat das OLG darauf hingewiesen, dass die Höhe des Schadens weitere Aufklärung bedürfe. Gegen die bisherige Art der Schadensberechnung anhand voraussichtlicher Mängelbeseitigungskosten bestünden erhebliche Bedenken.
- Nach der Rechsprechung des BGH im Werkvertragsrecht bestehe bei der Schadensberechnung nach fiktiven Mangelbeseitigungskosten die Gefahr einer Überkompensation
- und damit einer nicht gerechtfertigten Bereicherung des Bestellers (BGH, Urteil v. 22.2.2018, VII ZR 46/16 → BGH gibt seine Rechtsprechung zu fiktiver Schadensberechnung auf).
- Dieser Gedanke sei auch im Kaufrecht anwendbar. Auch im Kaufrecht komme es grundsätzlich darauf an, welche Konsequenz der Besteller aus einem Mangel zieht.
- Dies gelte z.B. dann, wenn der Käufer einen Mangel mit Eigenmitteln günstig repariert.
Die Beklagte habe im Verfahren zurecht darauf hingewiesen, dass das zum Zeitpunkt der Veräußerung knapp 80 Jahre alte Gebäude nur einen sehr geringen Wert habe.
Bodenwert betrug Löwenanteil des Kaufpreises, Mängelbeseitigungskosten überstiegen den Gebäudesachwert
Allein der Bodenwert der verkauften Immobilie habe zum Zeitpunkt des Verkaufs 262.200 Euro betragen und damit den Löwenanteil des Kaufpreises von 319.000 Euro ausgemacht. Damit lägen die geltend gemachten fiktiven Mängelbeseitigungskosten von knapp 60.000 Euro über dem verbleibenden Sachwertes des Gebäudes von ca. 56.800 Euro.
Auch hielt es der Senat für ausgeschlossen, dass eine Durchführung der Reparaturarbeiten auch nur ansatzweise zu einer den Kosten äquivalenten Wertsteigerung des alten, eher geringwertigen Gebäudes führen könnten. Schließlich hätten die Kläger bereits begonnen, die beanstandeten Mängel des Gebäudes in Eigenleistung zu beseitigen.
LG muss erneut entscheiden
Das OLG verwies die Kläger darauf, eine andere, realistischere Schadensberechnung zu wählen. U.a. bestünde die Möglichkeit, im Wege des kleinen Schadensersatzes die durch die Mängel bedingte Wertminderung des Gebäudes zu ermitteln und diese als Schaden geltend zu machen. Das OLG hat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung unter Beachtung dieser Grundsätze an das LG zurückverwiesen.
(OLG Frankfurt, Urteil v.21.1.2019, 29 U 183/17).
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Hintergrund:
Die fiktive Schadensberechnung, die auch in der Literatur umstritten ist , führt häufig zu einer Überkompensation und damit zu einer nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen nicht gerechtfertigten Bereicherung. Deshalb änderte der BGH schon seine Rechtssprechung zum Werkvertragsrecht. Auch beim Schadensersatz nach Verkehrsunfällen wird sie häufig in Frage gestellt und von Richtern teilweise als Einladung zum Versicherungsbetrug abgelehnt.
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