Wie müssen Rechtsanwälte laut BGH für krankheitsbedingte Ausfälle vorsorgen?
Insbesondere die Einzelkämpfer unter den Anwälten haben große Verantwortung zu schultern, die unter bestimmten Umständen zur Belastung werden kann. Das tägliche Rad der Fristen, Termine und Mandantenerwartungen dreht sich weiter, egal ob der Rechtsanwalt gerade in Höchstform, im Urlaub oder krank ist. Welche rechtlichen Konsequenzen gelten im Ernstfall?
BGH-Beschluss fasst Leitlinien für den Ausfall von Anwälten zusammen
Die Auseinandersetzung des BGH mit dem Fall diente keinem höheren Zweck, insbesondere nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Der Beschluss ist aber eine schöne Zusammenfassung der ständigen Rechtsprechung des BGH zur Thematik
„Was wird von einem Rechtsanwalt erwartet, wenn er ausfällt?“
Wann ist die Verspätung des Anwalts von ihm verschuldet?
Das OLG Hamburg wollte einer klagenden Mandantin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (→ Top-Thema: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) nicht gewähren, weil ihr Anwalt die Berufungsbegründungsfrist versäumt hatte; aus Sicht des Berufungsgerichts verschuldet. Daraufhin erhob sie Rechtsbeschwerde beim BGH, der die Sache aber nicht anders sah.
Einzelanwalt wegen akuter Rückenschmerzen von der Arbeit abgehalten
Eine Woche vor Ablauf der Berufungsfrist erkrankte der ohne Personal tätige Einzelrechtsanwalt an einer akuten Lumboischialgie (Schmerzen im unteren Rücken) und konnte nur noch unter Einnahme von Medikamenten und andauerndem Schmerz das Nötigste in zwei oder drei Stunden täglich in der Kanzlei erledigen.
BGH erwartet vom Anwalt langfristiges Vorausplanen und Maßnahmen im Moment des Ausfalls
Der BGH unterscheidet in seiner ständigen Rechtsprechung zwischen
- den allgemeinen Vorkehrungen, die ein Anwalt immer für den Fall der Fälle zu treffen hat,
- den konkreten Maßnahmen bei vorhersehbarer Abwesenheit sowie
- dem Verhalten in einem überraschenden Verhinderungsfall.
Generelle Absicherung für den Ernstfall, um Fristversäumnis zu verhindern
Ein Rechtsanwalt muss stets dafür sorgen, dass Fristen auch dann gewahrt werden, auch wenn er plötzlich ausfällt.
- Dafür muss er seinem Personal einen Notfallplan für dieses Szenario geben.
- Hat er keine Mitarbeiter, muss er andere Wege zur Sicherstellung der Wahrung von Fristen finden, z.B. einen vertretungsbereiten Kollegen.
Konkrete Maßnahmen zum Zeitpunkt einer erwarteten Verhinderung
Weiß der Anwalt, dass er für einige Zeit ausfällt, z.B. weil der in den Urlaub fährt oder sich einer langwierigeren Behandlung unterzieht, muss er für jedes laufende Mandat sicherstellen, dass nichts anbrennt, insbesondere keine Fristen versäumt werden. Jede geeignete Maßnahme ist dafür in Betracht zu ziehen und ggfs. zu veranlassen.
Bei unvorhergesehenem Ausfall ist noch alles Mögliche und Zumutbare zu veranlassen
Wird der Rechtsanwalt aus heiterem Himmel krank, muss er in diesem Moment
- nur das, aber auch alles zur Fristwahrung unternehmen,
- was ihm möglich und zumutbar ist.
- Was genau das ist, hängt sicherlich auch von der Art der Erkrankung ab.
Bei Einzelanwälten ohne Personal kann es reichen den Kollegen, der sich für Notfälle bereit erklärt hat zu bitten die Fristverlängerung zu beantragen. Im worst case ist auch denkbar, die Klienten selbst auf den Weg zu schicken, um einen anderen Anwalt zu finden, der die Sache übernimmt.
Die Mandantin, die auf Wiedereinsetzung geklagt hatte, stand ziemlich im Regen. Ihr Anwalt hatte offenbar keinerlei Vorkehrungen getroffen und blieb auch nach Eintreten der Rückenschmerzen untätig was Versuche der Fristwahrung anbetraf. Sein Vortrag jedenfalls entbehrte jeglicher Substanz.
Krankheit des Anwalts anerkannter Grund für Fristverlängerung
Berufungsbegründungsfristen können verlängert werden, wenn triftige Gründe dargelegt werden. Warum der Jurist dies in den wenigen zur Verfügung stehenden Arbeitsstunden nicht selbst wegen seiner Schmerzen und unter Vorlage eines ärztlichen Attests beantragt hatte, blieb offen. Trivialere Erklärungen wie Urlaubsabwesenheit oder Arbeitsüberlastung sind als Verlängerungsgründe anerkannt.
(BGH, Beschluss v. 16.4.2019, VI ZB 44/18).
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Hinweis: Vorsichtsmaßnahmen für das beA im Krankheitsfall
Was die Entscheidungen des BGH speziell für das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) bedeutet, erläutert die BRAK: hier sei an die „passive Nutzungspflicht” gem. § 31a BRAO erinnert. Bei einer Einzelkanzlei ohne Kanzleipersonal müssen demnach allgemeine Vorkehrungen dazu getroffen werden, dass ein zur Vertretung bereiter Kollege im Fall einer unvorhersehbaren Erkrankung eingehende Nachrichten überprüfen und erste Maßnahmen wie z.B. die Beantragung einer Fristverlängerung beantragen können muss.
Dazu könnte bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer ein Jahresvertreter bestellt werden. Dieser werde dann in das bundesweite amtliche Anwaltsverzeichnis eingetragen und erhalte automatisch das Basisrecht, die Nachrichtenübersicht innerhalb des beA des Erkrankten anzusehen. Das bedeute, dass er zumindest prüfen könne, ob und von wem eine Nachricht eingegangen sei. Allerdings könne er weder den Betreff lesen noch die Nachricht öffnen. Dazu müssten ihm zuvor weitere Rechte eingeräumt worden sein. Seien dagegen Kanzleikollegen oder Kanzleipersonal vorhanden, könnte man diesen bereits beizeiten Zugriff auf das eigene Postfach gewähren, damit sie jederzeit reagieren könnten, falls man unvorhergesehen erkrankt.
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