Bei nicht eindeutigem Halteverbot müssen Abschleppkosten nicht gezahlt werden
Anlässlich eines City-Triathlons erließ die Stadt Koblenz eine straßenverkehrsbehördliche Anordnung, nach der der Veranstalter der Sportveranstaltung für einen bestimmten Zeitraum mobile Halteverbotsschilder aufstellen dürfte.
Absolute Halteverbotsschilder anlässlich eines Triathlons
Die Schilder sollten laut Anordnung in einem Abstand von 50 Metern angebracht werden. Bestehende, entgegenstehende Schilder sollten abgedeckt bzw. abgeklebt werden. Die mit dem Zusatz „ab 3.5.14, 12 Uhr“ versehenen absoluten Halteverbotsschilder wurden fünf Tage vor der Veranstaltung durch ein privates Unternehmen aufgestellt.
In wegen Triathlon errichteten Halteverbotszonen geparkt: 206 EUR Abschleppkosten
Eine Autofahrerin stellte am Tag der Veranstaltung dennoch das Auto ihres Mannes in einer der Halteverbotszonen ab. Die Stadt Koblenz ließ das Fahrzeug abschleppen und stellte die Abschleppkosten in Höhe von 208,63 Euro dem Ehemann in Rechnung.
Nach einem erfolglos eigelegten Widerspruch klagte dieser. Seine Argumentation: Die Stadt habe den Sichtbarkeitsgrundsatz verletzt. Es sei nicht erkennbar gewesen, auf welchen Bereich sich die Schilder bezogen hätten.
Widersprüchliche Straßenverkehrs-Beschilderung
Zudem habe sich die Beschilderung auch widersprochen. Denn in dem Bereich, in dem seine Frau das Auto abgestellt hatte, sei ein eingeschränktes Halteverbotsschild nicht abgeklebt oder abgedeckt gewesen. Das zugehörige Bußgeldverfahren sei bereits eingestellt worden, weil auch der zuständige städtische Hilfspolizist sich nicht mehr habe erinnern können, ob die Beschilderung der straßenverkehrsbehördlichen Anordnung entsprochen habe oder nicht.
Ordnungsgemäßes Aufstellen der Halteverbotsschilder fraglich
Der Mann hatte mit seiner Klage Erfolg. In den Verwaltungsakten sei das ordnungsgemäße Aufstellen der Schilder nicht hinreichend dokumentiert: Erforderlich sei der Nachweis einer Beschilderung,
- die es einem durchschnittlichen Autofahrer
- bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt ermögliche,
- sich nach dem Abstellen und Verlassen seines Fahrzeugs mittels einfacher Nachschau zu vergewissern,
- ob ein Halt- oder Parkverbot bestehe oder nicht.
Im vorliegenden Fall sei nicht hinreichend sicher gewesen, ob die Schilder für die Ehefrau des Klägers erkennbar gewesen seien. Zudem sei ein räumlicher Zusammenhang zwischen Abstellplatz des Autos und den Halteverbotsschildern auf den von der Stadt aufgenommenen Fotos nicht zu erkennen.
Wirkung von Verkehrszeichen zum ruhenden Verkehr
Generell gelte für Verkehrszeichen, die den ruhenden Verkehr betreffen, dass sie ihre Rechtswirkung gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer äußern. Dabei spiele es grundsätzlich keine Rolle, ob der Verkehrsteilnehmer das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnehme oder nicht.
Voraussetzung sei aber, dass das Verkehrsschild so aufgestellt ist, dass ein durchschnittlicher Autofahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt und ungestörten Sichtverhältnissen während der Fahrt oder durch einfache Umschau beim Aussteigen ohne Weiteres erkennen könne, dass ein Ge- oder Verbot durch ein Verkehrszeichen verlautbart wurde (vgl. BVerwG, Urteil v. 06.04.2026, 3 10.15).
Abschleppkosten wurden rechtswidrig erhoben
Nach Aktenlage sei es nicht sicher, ob diese Voraussetzung vorgelegen hätten. Die Abschleppkosten seien dem Mann rechtswidrig auferlegt worden. Er muss diese nicht bezahlen.
(VG Koblenz, Urteil v. 09.09.2020, 2 K 1308/19.KO).
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Hintergrund: Sichtbarkeitsgrundsatz im ruhenden Verkehr
Der Sichtbarkeitsgrundsatz verlangt, dass ein Verkehrsteilnehmer bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt die mit einem Verkehrszeichen getroffene Regelung bereits mit einem raschen und beiläufigen Blick erfassen kann. Nach der Rspr. des BVerwG ist es nicht ausgeschlossen, an die Sichtbarkeit von Verkehrszeichen in Fällen des ruhenden Verkehrs niedrigere Anforderungen zu stellen als an solche des fließenden Verkehrs. Dass im ruhenden Verkehr niedrigere Anforderungen an die Sichtbarkeit von Verkehrszeichen bzw. damit einhergehend höhere Sorgfaltsanforderungen an den Verkehrsteilnehmer gestellt werden können, findet seinen Grund schon in dem Unterschied der jeweiligen Verkehrssituation.
Verkehrszeichen, die den fließenden Verkehr betreffen, müssen – je nach Geschwindigkeit des sie passierenden Verkehrsteilnehmers – innerhalb kürzester Zeit wahrgenommen und inhaltlich erfasst, d.h. in ihrer Aussage verstanden werden; dem vorbeifahrenden Fahrer verbleibt in der Regel keine Zeit, sich noch Gedanken über den Inhalt ihrer Aussage zu machen. Den Verkehrsteilnehmer in dieser Hinsicht überfordernde Verkehrszeichen verzögern die Reaktion und können sich dadurch gefährdend für andere Verkehrsteilnehmer auswirken. Sie bergen zudem das Risiko, dass ihr Inhalt nicht verstanden und damit nicht befolgt wird.
Anders verhält es sich bei Verkehrszeichen, die den ruhenden Verkehr betreffen. Auch diese müssen zwar sofort befolgt werden (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Eine nähere inhaltliche Befassung mit der vor Ort geltenden Regelung ist hier aber nach dem Abstellen des Fahrzeugs gefahrlos möglich.
In der Rspr. und Literatur ist dementsprechend weithin anerkannt, dass an die Sichtbarkeit von Verkehrszeichen, die den ruhenden Verkehr betreffen, niedrigere Anforderungen zu stellen sind als an solche des fließenden Verkehrs (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 25.11. 2004, DAR 2005, 169; Beschl. v. 11.6.1997, DAR 1997, 366; VG Bremen, Urt. v. 7.5.2009, 5 K 3822/08, juris; OLG Hamm, Beschl. v. 13.11.1978, VRS 57, 137; König in: Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., 2007, § 39 StVO Rn 33).
Welche Anforderungen an die Sichtbarkeit von Verkehrszeichen dabei konkret zu stellen sind bzw. welche Sorgfaltsanforderungen einen Verkehrsteilnehmer treffen, der sein Fahrzeug abstellt, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. In Bezug auf Einschränkungen des Parkens und Haltens ist ein Verkehrsteilnehmer grundsätzlich verpflichtet, sich nach etwa vorhandenen Verkehrszeichen mit Sorgfalt umzusehen und sich über den örtlichen und zeitlichen Geltungsbereich eines mobilen Haltverbotsschilds zu informieren. Dabei muss er jedenfalls den leicht einsehbaren Nahbereich auf das Vorhandensein verkehrsrechtlicher Regelungen überprüfen, bevor er sein Fahrzeug endgültig abstellt (Hamburgisches OVG, Urt. v. 30.6.2009 – 3 Bf 408/08).
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