"Der Faktor Mensch ist Trumpf"
Herr Adam-Hernández, Sie haben sich in Ihrer Promotion mit der Resilienz von Dörfern beschäftigt. Was genau meinen Sie damit?
Alistair Adam Hernández: Resilienz wird je nach wissenschaftlichem Kontext unterschiedlich interpretiert, das stimmt. Häufig fokussiert der Begriff indes auf Widerstandsfähigkeit – also ein "lass uns bleiben, wie wir sind oder wie wir waren". Aber das Ziel, sich nicht verändern zu wollen, ist unsinnig. Veränderung ist die Konstante in der Geschichte schlechthin! Deswegen ging es mir darum, zu schauen: Gibt es Dörfer, die den Wandel aktiv gestalten und die versuchen, Einfluss auf die Geschehnisse zu nehmen?
Und, gibt es sie?
Ja, und so habe ich meine drei Untersuchungsdörfer in England, Spanien und Deutschland ausgewählt. Ich wollte herausfinden: Wie machen die das? Resilienten Dörfern gelingt eine kontinuierliche Belebung, eine Neuartikulierung des Kollektiven, also habe ich gefragt: Wie bekommt diese Gemeinschaft ihre Ziele formuliert, und wie macht sie sie geltend?
Wer ist denn diese Gemeinschaft?
Da muss man vorsichtig sein, das stimmt. Natürlich neigen Gruppen, die ihre Anliegen geschickt artikulieren können, die sie gut vermarkten können, dazu, mehr Gehör zu erlangen als andere.
Und wie komme ich an die anderen heran, die auch Anliegen und Bedürfnisse haben, aber sich weniger laut oder gar nicht äußern?
Ein Erfolgsfaktor ist ganz klar eine Dorfentwicklung, die eine starke soziale Komponente mit gestaltet – und sie bindet eben möglichst alle mit ein. Meinen Ergebnissen nach hat der englischsprachige Raum hier ein Alleinstellungsmerkmal. "Community work", also die Gemeinwesenentwicklung, gilt als zentraler Baustein der Ortsentwicklung, in Wissenschaft und Praxis. Damit wird auch in den Mittelpunkt gerückt, was meiner Einschätzung nach entscheidend ist für ein nachhaltig robustes Dorf mit starker Gemeinschaft: Der Faktor Mensch ist Trumpf.
Was für ein Typ Mensch muss das denn sein, der ein Dorf oder gegebenenfalls auch ein Viertel vorantreibt?
Ideal ist eine Kombination aus Macher und Denker – auch auf mehrere Personen verteilt. Es geht um Menschen, die Brücken bauen können zwischen den verschiedenen Gruppen und Bedürfnissen im Ort; das müssen gar nicht unbedingt Funktionsträger wie ein Bürgermeister oder so sein, dezentralisierte Führungsstrukturen können nicht nur sehr gut funktionieren, sondern auch ungeahnte Potenziale vor Ort entfalten.
Könnten hier die Folgen von Corona einen Schub bringen, weil eine neu geweckte Landlust Dörfer erstarken lässt und neue Akteure aufs Land bringt?
Im Moment beobachten wir schon ein Wachstum multilokaler Lebensstile, dennoch halte ich eine fundierte Einschätzung in dieser Hinsicht für verfrüht. Es ist gut möglich, dass vor allem der Speckgürtel von Metropolen profitiert, aber ob es das Dorf in der Peripherie auch tut, ist unklar.
Welche Rolle spielen denn raumörtliche und Siedlungsstrukturen für die positive Entwicklung von Orten?
Zentralörtliche Funktionen wirken sich für Dörfer auf jeden Fall positiv aus. Ich habe mir für meine Dissertation bewusst Orte ausgesucht, die ab vom Schuss liegen, allerdings hatten sie bis auf das deutsche Beispiel Oberndorf an der Oste im Landkreis Cuxhaven solche zentralörtlichen Funktionen. Gleichwohl gibt es in Oberndorf Infrastruktur und Nahversorgung, etwas, was besonders die Zugezogenen hervorheben. Interessanterweise hat in Oberndorf gerade der Verlust einer zentralörtlichen Funktion, nämlich das Schließen der Ortsschule, zu einer aktiveren Dorfgemeinschaft geführt. Die Kämpfer für die Schule hatten ehrenamtlich beispielsweise ein Energiekonzept für die Schule erstellt und umgesetzt, und als alles Engagement nichts half, entwarfen sie den Slogan: "Wir lassen uns unsere Energie nicht nehmen!"
Oft ist es so, schließt die Schule, ziehen keine Familien mehr zu und ansässige Familien wandern ab, das Dorf schrumpft, die nächste Einrichtung schließt. Welche Möglichkeiten sehen Sie, diese Abwärtsspirale zu durchbrechen?
Ich habe ein Resilienzmodell entwickelt mit acht Faktoren, von denen die Zukunft eines Dorfes abhängt. Je mehr ein Ort auf sich vereinen kann, um so besser. Dazu zählen beispielsweise das Funktionieren von sozialen Netzwerken, die Mentalität, eine Tradition gemeinschaftlichen Handelns. Aber auch ein Gleichgewicht zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Belangen – beispielsweise in Wohnungsfragen – und die Einbettung eines Ortes in die Verwaltungsgliederung spielen eine Rolle.
Kommunale Eigenverantwortung auf der einen Seite, übergeordnete Gemeinwohl-Interessen auf der anderen Seite: Welche sollte stärker gewichtet sein?
Ich bin ein klarer Verfechter der Subsidiarität! Kommunen finanziell und personell ausbluten zu lassen, halte ich für fatal. Subsidiarität bedeutet für Kommunen natürlich auch Verantwortung: Wer ein Neubaugebiet ausweist und ausschließlich auf Wohnbebauung ohne Orte für Begegnung setzt, muss sich nicht wundern, wenn keine aktive Gemeinschaft entsteht.
Wenn jede Kommune für sich selbst fröhlich Neubau- und Gewerbegebiete ausweist, erstickt das Land im Siedlungsbrei.
Dafür braucht es eine steuernde staatliche Instanz, der übergeordnete Ziele wie Wohnbedarf sowie Klima- und Naturschutz im Blick hat. Trotzdem sehe ich die kommunale Ebene als die entscheidende an. Ein Beispiel: In "meinem" englischen Dorf hat ein Community Development Trust, eine Mischung aus Treuhandgesellschaft und Verein, leerstehende gespendete Immobilien in Wohn- und Gewerberäume unter sozialen Aspekten umgewandelt. Das hat hervorragend funktioniert, weil die Akteure genau wussten, was gebraucht wird und außerdem viele im Ort selbst an dem Trust beteiligt waren, also mit ihrem eigenen Geld die Umstrukturierung gestalteten. Dieser Trust bewirtschaftet auch sechs Gewerbeeinheiten in der Einkaufsstraße im Ort und kümmert sich darum, dass sie mit Leben gefüllt sind.
Was könnte die Wohnungswirtschaft davon lernen?
Bauen und Gestalten gehen aus meiner Sicht Hand in Hand. Nachbarschaftsinitiativen sind genauso wichtig wie das Neubaugebiet selbst, vernetzte verschiedene Funktionen wie Nahversorgung und Dienstleistungen müssen Teil der Planung sein – und damit meine ich nicht die Ansiedlung eines Discounters am Ortsrand, sondern das Geschäft in der Mitte der Gemeinschaft.
Die Forschungsarbeit erscheint am 4. März 2021 unter dem Titel "Das resiliente Dorf" als PDF und Softcover, 480 Seiten, im Oekom Verlag (ISBN: 978-3-96238-308-4).
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