BGH zur Verjährung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen
In dem vom BGH entschiedenen Fall nahm der Kläger die von einem Erblasser zu dessen Lebzeiten beschenkten Erben im Wege der Stufenklage auf Auskunft, Wertermittlung und Duldung der Zwangsvollstreckung in Anspruch.
Vaterschaftsfeststellung acht Jahre nach dem Tod des Vaters
In den Jahren 1995 und 2002 hatte der Erblasser seinen Söhnen aus erster Ehe mehrere Grundstücke schenkungsweise unter Nießbrauchsvorbehalt überlassen. Im Juli 2007 war der Erblasser verstorben. Der Kläger hatte im März 2012 einen Antrag auf Feststellung der Vaterschaft gestellt. Im Februar 2015 erging darauf ein Beschluss zur Feststellung der (unehelichen) Vaterschaft. Hierauf forderte der Kläger die beiden anderen Söhne zur Auskunft über den Bestand des Nachlasses auf. Diese erhoben u.a. die Einrede der Verjährung.
Vergeblicher Kampf um Pflichtteilsergänzung
Die nach der Vaterschaftsfeststellung im November 2015 vom Kläger gegen die beiden anderen Söhne eingereichte Klage wurde über sämtliche Instanzen abgewiesen. Nach der Entscheidung des BGH waren die vom Kläger gemäß § 2329 Abs. 1 und 3 BGB verfolgten Ansprüche auf Pflichtteilsergänzung (Herausgabe der Geschenke) zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits verjährt.
Verjährungsfrist beginnt auch ohne Kenntnis der Pflichtteilsberechtigung
Der Senat stellte klar, dass der Kläger nach rückwirkender Feststellung der Vaterschaft zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Abkömmlinge seines Vaters im Sinne von § 1924 Abs. 1, 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB gehört und ihm daher grundsätzlich ein Pflichtteilsergänzungsanspruch gemäß § 2329 Abs. 1 und Abs. 3 BGB gegen beschenkte Miterben auf Herausgabe der Geschenke zustehen kann.
- Gemäß § 2332 Abs. 2 BGB in der bis Ende 2009 geltenden Fassung (heute inhaltsgleich § 2332 Abs. 1 BGB) verjährt dieser spezielle Pflichtteilsergänzungsanspruch innerhalb von drei Jahren ab Eintritt des Erbfalls.
- Diese Verjährungsfrist gilt nach dem Urteil des BGH ohne Rücksicht auf die Miterbenstellung kenntnisunabhängig (BGH, Urteil v. 9.10.1985, IVa ZR 1/84).
Im konkreten Fall ist nach Auffassung des Senats die Verjährung daher bereits im Juli 2010 und damit mehr als fünf Jahre vor Klageerhebung im November 2015 eingetreten.
Rechtswirkungen der Vaterschaft setzen Vaterschaftsfeststellung voraus
Nach dem Diktum des BGH wirkt sich der erst im Februar 2015 ergangene Beschluss zur Feststellung der Vaterschaft des Erblassers auf die Verjährung der Pflichtteilsergänzungsansprüche nicht aus. Dies beruhe auf der bis zum 30.6.2018 geltenden Fassung des § 1600 d Abs. 4 BGB (heute wortgleich § 1600 d Abs. 5 BGB), wonach die Rechtswirkungen der Vaterschaft - soweit sich nicht aus dem Gesetz etwas anderes ergibt - erst vom Zeitpunkt ihrer Feststellung an - dann allerdings rückwirkend - geltend gemacht werden können. Damit enthalte § 1600 d Abs. 4 BGB a.F. eine Rechtsausübungssperre.
Eintritt des Erbfalls ist alleiniger Anknüpfungspunkt für Verjährung
Nach Auffassung des BGH knüpft diese Rechtsausübungssperre ausschließlich an den objektiven Eintritt des Erbfalls an. Dieser Wortlaut der Vorschrift sei eng auszulegen. Dies folge aus dem dem Verjährungsrecht immanenten Gedanken, dass gewisse tatsächliche Zustände, die längere Zeit hindurch unangefochten bestanden haben, im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit nicht mehr infrage gestellt werden sollen (BGH, Urteil v. 30.9.2003, XI ZR 426/01). Diese enge Auslegung entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers, der mit Einführung des Gesetzes zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts vom 24.9. 2009 an dieser Vorschrift festgehalten und den Wortlaut bewusst nicht geändert habe.
Rechtssicherheit als vorrangiges Ziel des Gesetzes
Der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens führt nach Auffassung des BGH auch dazu, dass im Ergebnis kein Verstoß gegen Grundrechte des Klägers festgestellt werden kann. Zwar tangiere die gesetzliche Regelung sowohl das durch Art. 14 GG geschützte Erbrecht als Teil des Eigentumsrechts als auch das durch Art. 6 GG geschützte Recht ehelicher und nichtehelicher Kinder, jedoch rechtfertige es der Schutz des Beschenkten, einen überschaubaren Zeitraum festzulegen, innerhalb dessen der Beschenkte Klarheit darüber erhält, ob er ein Geschenk an den Pflichtteilsberechtigten herauszugeben hat oder nicht.
Müsse der Beschenkte auf eine unabsehbare Zeit damit rechnen, infolge einer Jahre nach dem Erbfall erfolgten Vaterschaftsfeststellung in Anspruch genommen zu werden, träte die von den Verjährungsvorschriften bezweckte Rechtssicherheit über unzumutbar lange Zeiträume nicht ein und der Beschenkte werde unabsehbaren Haftungsrisiken ausgesetzt.
Keine Verjährungshemmung
Nach Auffassung des Senats war die Verjährung bis zur rechtskräftigen Feststellung der Vaterschaft des Erblassers auch nicht entsprechend § 205 BGB gehemmt. Eine entsprechende Anwendung des § 205 BGB komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die dort geregelte Verjährungshemmung auf vereinbarte, vorübergehende Leistungsverweigerungsrechte beschränkt ist und damit vom Parteiwillen abhängig gemacht wird. Die hier in Rede stehende Rechtsausübungssperre sei vom Parteiwillen gerade unabhängig.
Keine Analogie zu Fällen höherer Gewalt
§ 206 BGB zieht eine Hemmung der Verjährung vor, wenn der Gläubiger durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert ist. Diese Ausnahmevorschrift ist nach Auffassung des Senats im Interesse des Schuldners eng auszulegen und daher ebenfalls einer analogen Anwendung auf den vorliegenden Fall nicht zugänglich (BGH, Urteil v. 28.10.2014, XI ZR 348/13).
Nichteheliche Kinder durch Pflichtteilsrecht ausreichend geschützt
Im Ergebnis wird das pflichtteilsberechtigte nichteheliche Kind nach Auffassung des BGH dadurch hinreichend geschützt, dass es gegen den beschenkten Erben Pflichtteilsergänzungsansprüche gemäß § 2325 BGB geltend machen kann, die der regelmäßigen, kenntnisabhängigen Verjährung gemäß §§ 195, 199 BGB unterliegen. Diese Ansprüche, deren Verjährung von der Kenntnis des Gläubigers und damit auch von der Vaterschaftsfeststellung abhängt, würden Härten zulasten der Pflichtteilsberechtigten weitgehend abmildern.
Ansprüche gemäß § 2329 BGB sind seltene Ausnahmefälle
Nur in den wenigen Ausnahmefällen, in denen diese Ansprüche nicht weiterführen, kommen Pflichtteilsergänzungsansprüche gemäß § 2329 BGB auf Herausgabe der Geschenke in Betracht. Auch in diesen Fällen hat das Kind nach Auffassung des BGH in der Regel rechtzeitig Kenntnis von Erbfall von seiner Abstammung. Sei diese Kenntnis - wie im vorliegenden Fall - ausnahmsweise nicht gegeben, so sei der Verjährungseintritt im Interesse der Rechtssicherheit hinzunehmen.
Schließlich könnten in extremen Fällen, wenn beispielsweise der Schuldner den Gläubiger absichtlich oder unabsichtlich von der Wahrung der Verjährungsfrist abgehalten hat, Härten dadurch vermieden werden, dass die Erhebung der Einrede der Verjährung als Verstoß gegen Treu und Glauben und damit als unwirksam gewertet wird (BGH Urteil v. 14.11.2013, IX ZR 215/12). Ein solcher Fall des Verstoßes gegen die Grundsätze von Treu und Glauben sei vorliegend allerdings nicht gegeben.
Klage insgesamt abgewiesen
Der BGH kam zu dem Ergebnis, dass die Vorinstanzen die Klage insgesamt zu Recht abgewiesen hatten. Da die geltend gemachten Ansprüche gemäß § 2329 Abs. 1 und 3 BGB wegen Verjährungseintritts grundsätzlich nicht durchsetzbar seien, sei die Stufenklage insgesamt abzuweisen.
(BGH, Urteil v. 13.11.2019, IV ZR 317/17)
Hinweis: Die Entscheidung des BGH hat für nichteheliche Kinder, deren Vaterschaft noch nicht festgestellt ist, nicht unerhebliche praktische Konsequenzen. Nach dem Tod des Erblassers sollte in Zweifelsfällen das postmortale Vaterschaftsfeststellungsverfahren unverzüglich eingeleitet werden, um gegebenenfalls eine Klage gegen einen Beschenkten auf Pflichtteilsergänzung durch Herausgabe des Geschenks gemäß § 2329 BGB rechtzeitig vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist erheben zu können.
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