Maximaler Kindesunterhalt - Was müssen besonders gut verdienende Eltern zahlen?
Wie sieht es mit dem Unterhaltsbedarf von Kindern aus, wenn das Einkommen der Unterhaltspflichtigen weit oberhalb des Höchstsatzes der Düsseldorfer Tabelle liegt. Muss der betreuende Elternteil den Kindern Genügsamkeit näher bringen oder gilt auch nach einer elterlichen Scheidung ein Gewohnheitsrecht für wohlstandsgewohnten Nachwuchs? Wenn ja, wie ist der höhere Unterhalt zu berechnen?
Lange verweigerte die Rechtsprechung auf Grundlage der BGH-Rechtsprechung aus 2001 einen pauschalen Aufschlag bei sehr gut verdienenden Unterhaltspflichtigen und forderte Belege oder Einzelnachweise für gehobenen Unterhaltsbedarf.
Sonderbedarf musste belegt werden
In einem nach älterer BGH-Rechtsprechung vom Brandenburgisches OLG entschiedenen Fall (Beschluss v. 24.11.2011, 9 UF 70/11) verdiente der barunterhaltspflichtige Vater zweier 15 und 20 Jahre alter, bei der Mutter lebender Kinder so gut, dass die Mutter der Kinder, mit der er noch verheiratet war, von der er aber getrennt lebte, mehr Unterhalt verlangte, und zwar jeweils 800 EUR pro Kind statt der gezahlten 507 EUR Kindesunterhalt.
Dazu führte sie einen Sonderbedarf von 150 EUR monatlich für Urlaube, einen monatlichen Bedarf von je 50 EUR für Brillen und Kontaktlinsen der extrem fehlsichtigen Kinder sowie 100 EUR für Schulfahrten und sportliche Aktivitäten an.
Die Kinder waren aus der Familienzeit vor der elterlichen Trennung einen gehobenen Lebensstil gewohnt und sollten den, nach ihrer Ansicht und der der Mutter, nach der Trennung auch fortsetzen.
Kindesunterhalt: Mehrbedarf über Höchstsatz hinaus?
Der Vater sah das anders und wandte ein, dass Sohn 1 immerhin schon volljährig sei und für Sohn 2 bereits ein rechtskräftiger Unterhaltstitel in Höhe von 507 EUR bis zur Volljährigkeit bestehe, weshalb das Rechtsschutzbedürfnis fehle.
Außerdem müssten minderjährige Kinder ja nicht zwangsläufig am gehobenen Lebensbedarf der Eltern teilnehmen. Weiter zahle er ja schon ständig außer der Reihe für die vielfältigen Aktivitäten der Sprösslinge. Jedenfalls müsse ein konkreter (Mehr-)Bedarf auch dargelegt und nicht nur pauschal behauptet werden.
Die Frau wiederum hielt dagegen, es gehe gar nicht um irgendeinen Mehrbedarf, sondern um den allgemeinen aus der Lebensstellung des Unterhaltspflichtigen abgeleiteten Unterhaltsbedarf. Ihre Klage hatte nur in geringem Umfang Erfolg.
Bedarfsbemessung bei überdurchschnittlichem Einkommen des Unterhaltspflichtigen
Zur Begründung führt das Gericht aus:
- Zwar richte sich die Lebensstellung minderjähriger Kinder angesichts ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit nach der Lebensstellung ihrer Eltern.
- Für den Unterhalt von Kindern getrennt lebender oder geschiedener Eltern seien somit die Einkommensverhältnisse des barunterhaltspflichtigen Elternteils maßgebend.
Bei der Bemessung des angemessenen Unterhalts entspreche es höchstrichterlich gebilligter Praxis, sich an Tabellensätzen wie z.B. der Düsseldorfer Tabelle zu orientieren, weil diese Richtsätze als Erfahrungswerte verstanden werden können, die den Lebensbedarf des Kindes – ausgerichtet an den wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern und dem Alter des Kindes – auf der Grundlage durchschnittlicher Lebenshaltungskosten typisieren.
Lange galt: Keine „Fortschreibung“ der Tabellensätze über die Höchstsätze hinaus
Die Frage, wie in Fällen, in denen das maßgebende Elterneinkommen den Höchstsatz übersteigt, der Unterhaltsbedarf des Kindes zu ermitteln ist, hatte der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil v. 11.04.2001, XII ZR 152/99) dahin beantwortet, dass jenseits der Pauschalisierungsgrenze der Tabellenwerke eine Fortschreibung der als Erfahrungswerte verstandenen Richtsätze im Einzelfall nicht sachgerecht erscheine.
Bei einem Einkommen des Unterhaltspflichtigen jenseits des Höchsteinkommens nach der Düsseldorfer Tabelle müsse das Kind, das einen den Höchstbetrag übersteigenden Bedarf geltend macht, diesen konkret darlegen und beweisen.
Daran dürften nach Ansicht des Gerichts aber keine zu hohen Anforderungen geknüpft werden. Vielmehr reiche aus, besondere oder besonders kostenintensive Bedürfnisse zu belegen. Das Gericht dürfe dann im Zweifel den geschuldeten Unterhalt nach § 287 ZPO schätzen.
Anspruch auf Fortführung des Lebensstandards?
Bei höherem Elterneinkommen müsse zwar sichergestellt sein, dass Kinder in einer ihrem Lebensalter entsprechenden Weise an einer Lebensführung teilhaben, die der besonders günstigen wirtschaftlichen Situation ihrer Eltern Rechnung trägt. Welche Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten auf dieser Grundlage zu befriedigen sind und welche Wünsche demgegenüber als bloße Teilhabe am Luxus nicht erfüllt werden müssen, könne aber nicht allgemein gesagt, sondern nur unter Würdigung der besonderen Verhältnisse des Betroffenen, namentlich auch einer Gewöhnung des Unterhaltsberechtigten an einen – von seinen Eltern während des Zusammenlebens gepflegten - aufwändigen Lebensstil, festgestellt werden. Diese Gesamtumstände und Bedürfnisse müssen vom Unterhaltsberechtigten näherdargelegt und - bei Bestreiten - bewiesen werden.
Nach diesen Grundsätzen habe ein an den früheren gehobenen Lebensstil gewohntes Kind zwar prinzipiell darauf Anspruch, dass ihm dieser Lebensstil als angemessener Bedarf erhalten bleibe. Demgegenüber sei aber mit dem höchsten Tabellenbetrag schon eine reichlich bemessene Befriedigung des allgemeinen Bedarfs gegeben, so dass es für einen noch darüber hinausgehenden besonders hohen Unterhaltsbedarf einer entsprechend dezidierten Begründung bedürfe.
Früher galt die Düsseldorfer Tabelle oft als großzügig genug
Nach Ansicht des OLG waren die meisten Kosten-Posten bereits durch den Tabellenunterhalt nach der Höchststufe abgedeckt. Mit den Tabellensätzen der von den Oberlandesgerichten herausgegebenen Unterhaltstabellen würden nämlich die Kosten der Nahrung, Kleidung, Wohnung, Ferien, Pflege kultureller und sportlicher Interessen, Schulausbildung und Unterrichtsmaterial sowie Taschengeld abgebildet, sodass ein etwaiger Sonderbedarf nicht erkennbar sei.
Das OLG hielt die Kindern nach dieser Rechtsprechung eher knapp: Bedarf für monatliche Urlaubsreisen seien im Tabellenunterhalt ebenso enthalten wie Anteile für Urlaubsaktivitäten und die Kosten für Klassenfahrten und sportliche Aktivitäten. Es bedürfe keiner weiteren Ausführungen, dass mit einem Kindesunterhalt von monatlich 590,00 EUR zahlreiche sportliche Aktivitäten finanziert werden können. Hinsichtlich der Kosten für besonders teure Kleidung gelte: Der pauschale Hinweis auf die generell sehr markenorientierte und damit teure Bekleidung des Kindes, die seit der Geburt getragen worden sei, sei nicht geeignet, einen über den im höchsten Tabellenunterhalt hierfür enthaltenen Anteil hinausgehenden Unterhaltsbedarf von rund 100 EUR monatlich zu begründen.
Lediglich wegen der Fehlsichtigkeit des Sohnes erkannte das Gericht einen Sonderbedarf in Höhe von monatlich 25, EUR an. Dieser sei im Tabellenunterhalt nicht enthalten, weil ein solcher Bedarf aus der besonderen gesundheitlichen Beeinträchtigung erwächst, der nicht typischerweise für ein minderjähriges Kind anfällt (Brandenburgisches OLG, Beschluss v. 24.11.2011, 9 UF 70/11).
Es galt Pflicht zu Darlegung höhere Aufwendungen durch Unterhaltsberechtigte
Das einen höheren Unterhalt beanspruchende Kind musste bisher im Regelfall zwar nicht seine gesamten Aufwendungen in allen Einzelheiten spezifiziert darzulegen (BGH, Urteil v. 11.04.2001, XII ZR 152/99), sondern es konnte sich regelmäßig darauf beschränken, besondere oder besonders kostenintensive Bedürfnisse und deren Kosten zu belegen. Der zur Deckung erforderliche Betrag wurde durch Gegenüberstellung der belegten höheren Kosten mit bereits von den Richtwerten der Düsseldorfer Tabelle erfassten Grundbedürfnissen berechnet oder und unter Zuhilfenahme allgemeinen Erfahrungswissens bestimmt (BGH, Urteil v. 13.10.1999, XII ZR 16/98).
BGH änderte Rechtsprechung hin zur Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle bei Top-Verdienern
Nun hat der BGH sich Ende 2020 von der Ablehnung einer Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle bei Spitzenverdienern abgewandt.
Im fraglichen Fall hatten die seit mehreren Jahren geschiedenen Eltern eines 9-jährigen Mädchens nach der Scheidung eine Vereinbarung getroffen, wonach der Unterhalt entsprechend der Düsseldorfer Tabelle berechnet werde, wobei der Vater 160 % des geltenden Mindestunterhalts der jeweiligen Altersgruppe zahlen sollte. Bezüglich dieser Zahlungen hatte er sich für "unbegrenzt leistungsfähig" erklärt.
Dann begehrte die Mutter eine Auskunft über sein Einkommen, die er nicht erteilen wollte. Das OLG München entschied darauf, eine Offenlegung könne nur unterbleiben, wenn die Auskunft keinerlei Bedeutung für den Unterhaltsanspruch habe. Es könne aber nicht irrelevant sein, ob das monatliche Nettoeinkommen beispielsweise bei 6.000 oder 30.000 EUR liege. Dieser Argumentation schloss sich der BGH an. Nur in Ausnahmefällen bestehe kein Auskunftsanspruch.
Bei der Begründung wich der der BGH von seiner früheren Rechtsprechung ab, wonach keine Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle bei Einkommen über (aktuell) 5.500 EUR netto im Monat vorzunehmen, sondern eine Einzelfallprüfung durchzuführen sei. Er hält nun eine begrenzte Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle bis zur Höhe des Doppelten des höchsten darin aktuell ausgewiesenen Einkommensbetrags für nicht ausgeschlossen: Kinder würde automatisch am Lebensstandard der Eltern teilnehmen, das gelte auch beim Kindesunterhalt.
Es müsse sichergestellt werden, dass dies auch bei höheren Einkommen der Eltern erfolge. Faktische Festschreibung des Kindesunterhalts bei einem Elterneinkommen, das den Höchstbetrag übersteigt, auf die höchste Einkommensgruppe dürfe nicht gelten. Dies könne durch die Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle gesichert werden und gilt auch in der neueren Rechtsprechung des Gerichts zum Ehegattenunterhalt.
(BGH, Beschluss. v. 16.9.2020, XII ZB 499/19).
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Vgl. zum Thema Unterhalt:
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