Anwaltlicher Formfehler im elektronischen Rechtsverkehr: Gerichtlicher Hinweis und Heilung
In dem vom Arbeitsgericht entschiedenen Fall hatte ein Anwalt für seinen Mandanten eine Kündigungsschutzklage beim ArbG eingereicht. Gemäß §§ 4, 7 KSchG muss eine Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung bei Gericht eingehen, andernfalls ist die Kündigung rechtswirksam.
Kündigungsschutzklage elektronisch über beA eingereicht
Der Klägervertreter reichte die Kündigungsschutzklage über sein beA bei Gericht ein. Für die Einreichung von Schriftsätzen über das beA gelten für die Arbeitsgerichtsbarkeit die Formvorschriften des § 46 c ArbGG in Verbindung mit der für alle Gerichtsbarkeiten bundesweit geltenden „Rechtsverordnung Elektronischer Rechtsverkehr“ (ERVV) in Form der Bekanntmachungen ERVB 2018 und ERVB 2019. Für die Zivilgerichtsbarkeit enthält § 130a ZPO entsprechende Vorschriften.
Kündigungsschutzklage enthielt nicht eingebettete Schriften
Die die Kündigungsschutzklage enthaltende elektronische Datei ging rechtzeitig innerhalb der Dreiwochenfrist bei Gericht ein, litt jedoch unter einem Mangel.
- Die vom Rechtsanwalt verwendete pdf-Datei benötigte zu ihrer Darstellung Schriftarten, die nicht in der Datei selbst enthalten waren, sondern von dem darstellenden Rechner bezogen werden mussten.
- Damit handelte es sich um sogenannte nicht eingebettete Schriften, d.h., der Schriftsatz war möglicherweise nicht zur unmittelbaren Bearbeitung durch das Gericht geeignet, da er von dem darstellenden Rechner die für die Bearbeitung benötigten Schriftarten erst beziehen musste.
IM ERV eingereichte Schriftsatz muss zu unmittelbarer Bearbeitung geeignet sein
Bei Einreichung von Schriftsätzen über das beA hat der Anwalt besondere formelle Erfordernisse zu beachten. So müssen elektronisch eingereichte Schriftsätze zur unmittelbaren Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Gemäß § 46 c Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV i.V.m. Ziff. 1 ERVB 2019 ist er das nur dann, wenn in ihm sämtliche enthaltenen Schriften in die verwendete PDF-Datei eingebettet sind.
Problem vom Gericht erst nach acht Monaten bemerkt
Das konkrete Problem der nicht eingebetteten Schriften bemerkte das ArbG erst ca. acht Monate später, kurz vor dem Kammertermin. Den entsprechenden Hinweis des Gerichts nahm der Klägervertreter zum Anlass, die Kündigungsschutzklage noch am gleichen Tag erneut und diesmal ordnungsgemäß über sein beA einzureichen.
Nach spätem Kammerhinweis ging der Rechtsanwalt zügig an die Schadensbegrenzung
Nach der nunmehr formal richtig ausgeführten Schriftsatzeinreichung schloss sich am gleichen Tag ein ebenfalls elektronisch eingereichten Schreiben an. Darin versicherte der Anwalt an Eides statt, dass der neu eingereichte Schriftsatz mit der ursprünglichen Klageschrift 1 zu 1 übereinstimme.
Das ArbG hatte nun zu prüfen, ob die per beA eingereichte Klageschrift den formellen Anforderungen des § 46 c ArbGG in Verbindung mit der ERVB entsprach und für die unmittelbare Bearbeitung durch das Gericht geeignet war.
Wann sind die Voraussetzungen des § 46 c ArbGG erfüllt?
Für die Beurteilung des Vorliegens dieser Voraussetzung gilt nach Auffassung des ArbG ein rein objektiver, durch die ERVB gesetzter Maßstab. Es komme daher nicht darauf an, ob die konkret entscheidende Kammer zur Bearbeitung des elektronischen Dokuments in der Lage ist, entscheidend sei die generelle Geeignetheit des Dokuments zur Bearbeitung durch das Gericht. Dies ist nach dem Urteil des ArbG bei nicht eingebetteten Schriften nach der ERVB 2019 nicht der Fall.
ERVB 2019 verletzt nicht die Rechtsweggarantie des GG
Das ArbG bewertete die ERVB 2019 als mit der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar. Die Vorschrift enthalte mit der Eingrenzung der zulässigen PDF-Dateien zwar eine indirekte Einschränkung des Zugangs zu den Gerichten. Diese Einschränkung sei aber durch das Standardisierungsinteresse der Justiz gerechtfertigt, da dies im Ergebnis zu einer effektiveren und schnelleren Fallbehandlung bei den Gerichten führe.
Niedrigschwellige Möglichkeit zur Korrektur von Formatfehlern
Außerdem wird nach Auffassung des ArbG die Einschränkung der Zugangswege zu den Gerichten dadurch relativiert, dass § 46 c Abs. 6 Satz 2 ArbGG eine niedrigschwellige Möglichkeit zur folgelosen Korrektur von Formatfehlern bereit stelle. Nach dieser Vorschrift gilt ein Schriftsatz, der einen Formatfehler enthält, als zum Zeitpunkt der ursprünglichen Einreichung eingegangen, wenn
- die formell ordnungsgemäße Einreichung unverzüglich nachgeholt wird und
- die inhaltliche Übereinstimmung beider Dokumente in einem separaten Dokument eidesstattlich versichert wird.
Unverzüglich nach gerichtlichem Hinweis ist ausreichend
Im konkreten Fall hatte der Klägervertreter dem Erfordernis der unverzüglichen Nachholung nach der Bewertung des ArbG genügt. Zwar seien seit Klageeinreichung ca. acht Monate verstrichen, entscheidend für die Unverzüglichkeit sei aber, dass der Rechtsanwalt nach dem Hinweis des Gerichts unverzüglich gehandelt habe. Die Einreichung der ordnungsgemäßen Dokumente noch am gleichen Tag, an dem der gerichtliche Hinweis erfolgte, sei in jedem Fall ausreichend.
Kündigungsschutzklage im Ergebnis rechtzeitig
Damit war der Formfehler nach der Einschätzung des ArbG wirksam geheilt. Im Ergebnis galt daher nach der Entscheidung des ArbG die Kündigungsschutzklage als rechtzeitig innerhalb der gesetzlichen Dreiwochenfrist bei Gericht eingegangen. Die Entscheidung des ArbG ist noch nicht rechtskräftig.
(ArbG Lübeck, Urteil v. 9.6.2020, 3 Ca 2203/19)
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Hintergrund: Änderungen bei elektronischen Dokumenten zum 1.7.2019
Zum 1. Juli 2019 trat eine Änderung beim elektronischen Rechtsverkehr in Kraft: Seit diesem Zeitpunkt ist das elektronische Dokument in "durchsuchbarer Form" im Dateiformat PDF zu übermitteln (§ 2 Abs. 1 S. 1 ERVV). "Durchsuchbare Form" bedeutet, dass man in dem PDF-Dokument im Volltext z.B. nach Worten suchen oder sie markieren kann. Nicht durchsuchbar ist ein PDF-Dokument z.B., wenn es das Ergebnis eines Scans ohne Texterkennung ist.
Die durchsuchbare Form muss zunächst nur dann genutzt werden, soweit sie technisch überhaupt möglich ist. Technisch unmöglich ist sie z.B., wenn das Ausgangsdokument etwa handschriftliche oder eingeschränkt lesbare Aufzeichnungen oder Abbildungen enthält, die mit einem Texterkennungsprogramm nicht erfasst werden können. Hierunter fällt also beispielsweise das handschriftliche Testament oder ganz simpel die Unterschrift unter einem Vertragsdokument, das eben nur soweit texterkennungsfähig ist, wie die Unterschrift nicht betroffen ist.
Erzeugt wird ein PDF-Dokument in "durchsuchbarer Form" wie folgt: Der eigentliche Schriftsatz wird am besten aus der Textverarbeitung heraus gleich als PDF abgespeichert. Dann liegt er im Regelfall direkt als durchsuchbares Dokument vor. Bei Anlagen zum Dokument ist es allerdings nicht ganz so einfach. Denn diese kommen nicht aus dem eigenen Textverarbeitungsprogramm, sondern man hat sie entweder vom Mandanten schon digital erhalten oder sie selbst in der Kanzlei eingescannt oder einscannen lassen. Im letztgenannten Fall muss man darauf achten, dass der eigene Scanner bereits eine Software (geräteintern oder extern für den PC) bereitstellt, die eine automatische Texterkennung (auch OCR genannt [Optical Character Recognition]) durchführt. Hat man das Dokument bereits elektronisch vom Mandanten erhalten, muss es ggf. noch mit einer gesonderten Software nachbearbeitet werden.
Die BRAK verweist allerdings auch auf einen beruhigenden Umstand: Sofern ein Gericht das eingereichte elektronische Dokument nicht für zur Bearbeitung geeignet hält, muss es dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und auf die geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitteilen. Das Dokument gelte als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt (vgl. § 130a Abs. 6 ZPO).
Aus Deutsches Anwalt Office Premium
Zeitplan für den Elektronischen Rechtsverkehr
Der Übergang in den Elektronischen Rechtsverkehr (ERV) verläuft in Etappen:
Änderungen im Überblick | Inkrafttreten |
Beweiskraft gescannter öffentlicher elektronischer Dokumente | 17.10.2013 |
Verordnung zu elektronischen Formularen Zustellung elektronischer Dokumente Beweisvermutung DE-Mail und qualifizierte elektronische Signatur. Schutzschriftenregisterverordnung | 1.7.2014 |
Einführung elektronischer Formulare, Schutzschriftenregister, besonderes elektronisches Anwaltspostfach „beA“ (Start mehrfach verschoben bzw. gestoppt) | 1.1.2016 |
Pflicht zur Verwendung des elektronischen Schutzschriftenregisters | 1.1.2017 |
„passive beA-Nutzungspflicht“ Elektronische Aktenführung, elektronische Einreichung von Dokumenten, Vernichtung von Papierakten nach 6 Monaten; | 1.1.2018 |
Verschiebungsmöglichkeit der Einführung der Regelungen zum 1.1.2018 durch die Länder | 1.1.2019 / 1.1.2020 |
Komplette Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs, Vorziehung durch Länder möglich | 1.1.2022 / 1.1.2021/ 1.1.2020 |
Nur noch elektronische Klage zulässig; Papierklage durch Anwälte wird endgültig formunwirksam |
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