„Biodiversitätsberichterstattung steckt in den Kinderschuhen“
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Herr Velte, der Nachhaltigkeitsdruck auf Unternehmen wächst. Können wir nachhaltiges Wirtschaften steuern oder brauchen wir mehr intrinsische Motivation?
Patrick Velte: Natürlich können wir die extrinsische Motivation des Managements über nachhaltigkeitsbezogene Steuern und Subventionen fördern. Wir können auch die Haftungskeule schwingen und sagen: Wenn du nicht die Sorgfaltspflichten in der Lieferkette einhältst, wirst du schadenersatzpflichtig. Das kann aber nur eine Seite der Maßnahmen sein. Idealerweise kombinieren wir staatliche Regulierungen mit intrinsischer Motivation des Managements, was auch mit Skills und Erfahrungen zusammenhängt. Wer wenig Kenntnisse und Erfahrungen mit Umwelt- und Sozialthemen hat, ist nicht intrinsisch motiviert, findet die Themen schwierig und vielleicht unverständlich. So jemand will sich vielleicht nicht jahrelang von Beratungsgesellschaften abhängig machen. Neben der universitären Forschung und Lehre für die jungen Menschen müssen wir auch mehr Erwachsenenbildung betreiben, denn junge Menschen, die aus der Universität kommen, fangen im Unternehmen nicht gleich als Aufsichtsräte oder Vorstände in verantwortlicher Position an. Sie können dem Vorstand nicht gleich zu einer ambitionierteren Nachhaltigkeitsstrategie bewegen. Also müssen wir die älteren Generationen, die ein Studium oder eine Ausbildung ohne Nachhaltigkeitsaspekte absolviert hatten, nachschulen.
Erst Finanzen, dann Nachhaltigkeit?
Langsam wird die variable Vergütung für Führungskräfte an Klimaziele geknüpft. Kann das Top-Management nur mit finanziellen Anreizen nachhaltig handeln?
In einigen Hauptversammlungen wird freiwillig nach dem Prinzip Say on Climate sogar schon über die Klimastrategie des Unternehmens abgestimmt. Nachhaltige Vergütungssysteme für die Führungsetage werden von sehr vielen, teils institutionellen, Investoren erwartet. Das ist kein Allheilmittel, denn mit variabler Vergütung und Klimazielen lässt sich auch viel Symbolpolitik betreiben. Welche nachhaltigen KPIs aus dem Vergütungsbericht sind valide? Wie kann der Aufsichtsrat diese regelmäßig überwachen? Wie ambitioniert sind die Klimaziele in der Vergütung wirklich? Das alles wird sich in der Praxis herausstellen. Fast alle Dax-40-Konzerne haben zwischenzeitlich eine Nachhaltigkeitsvergütung eingeführt, auch die EU will Klimaziele in die Vergütung tragen. Aber dafür brauchen wir ambitionierte und vergleichbare Klimaziele. Sie müssen messbar sein, sowohl für Aufsichtsräte, die diese überwachen, als auch für Stakeholder, die den Vergütungsbericht lesen und wissen wollen: Steuern die Unternehmen wirklich nach den Nachhaltigkeitszielen, nach denen sie vergütet werden? Das ist häufig nicht der Fall. Die KPIs für Vergütungsziele weichen teilweise von den Zielen der Unternehmenssteuerung ab. In diesem Mismatch drohen Symbolpolitik und Greenwashing.
Wir brauchen ambitionierte und vergleichbare Klimaziele. Sie müssen messbar sein, sowohl für Aufsichtsräte, die sie überwachen, als auch für Stakeholder, die den Vergütungsbericht lesen.
Können Sie irgendwelche Zielkonflikte in Unternehmen erkennen?
Der klassische Zielkonflikt zwischen kurzfristigen Investoren und sonstigen Stakeholdern, wie Lieferanten und Kunden, lässt sich nicht so schnell lösen. Unternehmen müssen ihren Corporate Purpose verändern, also ihre Strategie, Vision und Mission. Momentan verfolgen viele Unternehmen Finanz- und ESG-Ziele nicht gleichwertig. Finanzziele sind immer noch vorrangig, erst nachrangig folgen ESG-Aspekte. Die Finanzziele sollten künftig weniger und die ESG-Ziele mehr Gewicht haben. Es gilt die Planungszeiträume zu verändern, denn ESG-Ziele sind nichts anderes als Pre-Financials, die sich künftig finanziell auswirken werden, allerdings erst in langen Zeitreihen. Der langfristige Unternehmenswert kann durch erfolgreiche Nachhaltigkeitsmaßnahmen erhöht und durch schlechte Maßnahmen gesenkt werden. Die steigende Volatilität der Nachhaltigkeitsleistung ist unbequem für Unternehmenslenker:innen. Ein Teil der Wirtschaft steht der Verrechtlichung der Sustainable Corporate Governance sehr kritisch gegenüber, man sieht das an der Lobbyarbeit gegen das LkSG im Jahr 2021 oder an der aktuellen Kontroverse um die künftige CSDDD der EU. Hier geht es nicht nur um Reporting, sondern um eine Regulierung der Sustainable Corporate Governance.
Nachhaltigkeitsexpertise in der Wirtschaftsprüfung: Es ist viel zu tun
Im Zuge der CSRD werden Nachhaltigkeitsberichte schließlich auch prüfungspflichtig. Sind Wirtschaftsprüfer:innen dieser Aufgabe personell gewachsen?
Aktuell haben die Big-Four aus internationaler Sicht wohl das meiste Know-how und die meisten Erfahrungen in der Prüfung von Nachhaltigkeitsberichten. Schon heute werden sie von börsennotierten Unternehmen mit der Erstellung und Prüfung von Nachhaltigkeitsberichten betraut. Das ist bei den Next Ten-Gesellschaften weniger stark ausgeprägt. Wenn wir in den kleineren Mittelstand der Prüfungsgesellschaften hineinsehen, die keine börsennotierten Mandate haben, dann sind diese bei der Nachhaltigkeitsberatung und -prüfung nach meinen Erfahrungen in Deutschland ressourcentechnisch zu schwach aufgestellt. In Zukunft gibt es allein in Deutschland 15.000 berichts- und prüfungspflichtige Unternehmen.
Ich bin skeptisch, ob wir in den nächsten Jahren ausreichend Wirtschaftsprüfer:innen mit Finanz- und Nachhaltigkeitsexpertise ausbilden können.
Ich bin skeptisch, ob wir in den nächsten Jahren ausreichend Wirtschaftsprüfer:innen mit Finanz- und Nachhaltigkeitsexpertise ausbilden können. Das Nachwuchsproblem ist eklatant, das mag auch damit zusammenhängen, dass die EU-Kommission in der CSRD ein wichtiges Wahlrecht für die Prüfung der Nachhaltigkeitsberichte implementiert hat.
Welche Pläne hat die EU für die Wirtschaftsprüfung vorgesehen?
Die EU-Kommission lässt den Mitgliedstaaten die Wahl, ob Unternehmen den Jahresabschlussprüfer bitten, gleichzeitig auch den Nachhaltigkeitsbericht zu prüfen. Sie dürften auch einen anderen Prüfer oder eine andere Prüfungsgesellschaft oder eine Instanz außerhalb der Wirtschaftsprüfer wie zertifizierte Anbieter von Prüfungsleistungen, beauftragen. Langfristig müssen wir zu einer jährlichen Prüfung des Jahresabschlusses und Lageberichts inklusive des Nachhaltigkeitsberichts durch eine Prüfungsgesellschaft kommen. Die EU fängt zunächst mit der sogenannten „begrenzten“ Prüfungssicherheit an und möchte bis 2028 die „hinreichende“ Prüfungssicherheit analog zur Prüfung des Jahresabschlusses einführen. Womöglich befürchtet die EU auch, dass wir nicht genügend Wirtschaftsprüfer:innen mit Nachhaltigkeitsexpertise in der EU haben werden und die Big-Four auf dem Prüfermarkt noch mehr Macht bekommen. Deswegen ist der Kompromiss der EU wohl entstanden. Wir warten nun darauf, was der deutsche Gesetzgeber macht, der diese Richtlinie umsetzen muss. Ich kann mir aber vorstellen, dass Berlin die CSRD eins-zu-eins umsetzen wird. Das Mitgliedstaaten-Wahlrecht würde dann an die Unternehmen weitergegeben, die sich aussuchen könnten, den Jahresabschlussprüfer oder eine andere Instanz zu bitten, den Nachhaltigkeitsbericht zu prüfen. Praktisch ist die erste Option sinnvoll, denn sie ist kostenärmer und mit Synergieeffekten verknüpft. Der Markt wird das Problem sicher schnell lösen.
Biodiversität, das Novum in der Berichterstattung
Inzwischen weisen Sie verstärkt auf die Qualität der Biodiversitätsberichterstattung hin, der auch in der CSRD, den ESRS und der CSDDD eine erhöhte Bedeutung zukommt. Worum geht es?
Biodiversität ist für viele Unternehmen im Rahmen der Berichterstattung und Steuerung ein Novum, die Berichterstattung steckt noch in den Kinderschuhen. Viele Studien zeigen, dass national wie international die Qualität der Nachhaltigkeitsberichte zu Biodiversitätsaspekten schwach ist. Wir haben nach der EU-Non-Financial-Reporting-Directive (NFRD) keine Pflicht zur Berichterstattung in der nichtfinanziellen Erklärung. Dies ändert sich nach der CSRD. Aus Sicht der Unternehmen gibt es im Bereich Biodiversität – verglichen zum Klima – aktuell große Probleme mit der Messbarkeit und Quantifizierung. Wenngleich nach den ESRS künftig der Impact der Geschäftstätigkeit auf die Biodiversität zu messen und anzugeben ist, wissen wir noch nicht, wie die KPI aussehen sollen und wie vergleichbar diese sind. Eine Betriebsstätte im Regenwaldgebiet wirkt sich anders auf die Biodiversität aus als eine in Skandinavien. Diese Vielschichtigkeit in einer Kennzahl einzufangen, ist ein schwieriges Unterfangen.
Eine Betriebsstätte im Regenwaldgebiet wirkt sich anders auf die Biodiversität aus als eine in Skandinavien. Diese Vielschichtigkeit in einer Kennzahl einzufangen, ist ein schwieriges Unterfangen.
Ab wann müssen sich Unternehmen auch um die Biodiversität sorgen?
Die EU-Kommission hat im finalen ESRS E4 die Biodiversitätsberichterstattung unter einen Wesentlichkeitsvorbehalt gestellt. So können die CSRD-pflichtigen Unternehmen entscheiden, die Biodiversität als unwesentliche Information zu klassifizieren und diese im neuen Nachhaltigkeitsbericht zu vernachlässigen. Zudem können Unternehmen mit weniger als 750 Mitarbeitenden in den ersten beiden Berichtsjahren den ESRS E4 vollständig ausblenden. Sie können sich noch etwas Zeit lassen, um ihre Berichtssysteme anzupassen. Wir sollten Biodiversität aber nicht aus den Augen verlieren. Außerdem dürfen wir Klimaschutz nicht als Insellösung betrachten und andere Umweltziele vernachlässigen. Biodiversität hat eine starke Verbindung zum Klimaschutz. Die EU-Taxonomie gibt klar vor: Wenn eine Geschäftstätigkeit eines der sechs Umweltziele wesentlich erhöht, darf diese nicht gleichzeitig eines der anderen Umweltziele wesentlich beeinträchtigen. Biodiversität ist eines der sechs Umweltziele der EU Taxonomie-Verordnung. Unternehmen werden also de facto dazu verpflichtet, eine Biodiversitätsstrategie und entsprechende Prozesse zu implementieren. Das dürfte ebenso anspruchsvoll sein wie eine aktive Klimastrategie.
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