Immobilienaktien: Die Talsohle scheint noch nicht erreicht

Wer auf die Aktienkurse großer Wohnungskonzerne blickt, hat wenig Grund zur Freude. Dabei gelten Immobilien als Substanzinvestments und Inflationsschutz, was sich auch in deren historisch hohen Preisen widerspiegelt. Wieso ticken Börse und Immobilienmärkte anders?

Im Hochsommer 2021 war die Börsenwelt von Vonovia-Chef Rolf Buch noch intakt: Der Immobilienriese (Bestand: 565.000 Wohnungen) meisterte die Coronakrise ganz passabel. Eine Aktie von Europas größtem Wohnungskonzern kostete über 50 Euro, sein Börsenwert betrug fast 45 Milliarden Euro. "Da herrschten ideale Rahmenbedingungen für Wohnungsbestandhalter, die von stabilen Ertragsströmen und niedrigen Zinsen profitieren", resümiert Simon Stippig, Immobilienaktienanalyst von Warburg Research. Aber der Wind begann sich bereits zu drehen.

Auf breiter Front zogen – getrieben von Lieferengpässen infolge der Corona-Pandemie – die Preise an. "Bei Baumaterialien galoppierten sie", so Stippig. Verschärft wird die Beschleunigung des Preisdrucks seit Ende Februar 2022 durch den Krieg in der Ukraine. In Deutschland hat sich binnen eines Jahres (Mai 2021 bis Mai 2022) die Inflationsrate – von 2,5 auf 7,9 Prozent– mehr als verdreifacht. Den Notenbanken ist inzwischen klar, dass die hohe Inflation kein vorübergehendes Phänomen ist. Selbst die Europäische Zentralbank hat sich von ihrer Nullzinspolitik verabschiedet. Am Tag, an dem sie bekannt gab, ab Juli erstmals seit elf Jahren die Leitzinsen anzuheben, knickten die Kurse börsennotierter Wohnungskonzerne wieder mal ein. Seit August verlor die Vonovia-Aktie fast 45 Prozent (Börsenwert: 25 Milliarden Euro), die Titel von LEG Immobilien über 40 Prozent und TAG Immobilien mehr als 50 Prozent an Wert (Stand: 15. Juni 2022).

Ob die Talsohle erreicht ist, wird sich zeigen. Marktbeobachter wie Warburg-Analyst Stippig halten weit höhere Kurse für gerechtfertigt. Der Börsenwert großer börsennotierter Wohnimmobilienanbieter liege 35 bis 40 Prozent unter dem Net Asset Value (NAV) ihres Immobilienportfolios, findet Nicolas Scherf, Portfoliomanager des European Property Equity Fund bei Janus Henderson Investors. Zudem locken Dividendenrenditen von über fünf Prozent. Zumindest theoretisch hätte das aktuelle Kursniveau Vonovia dazu verführen können, einen weiteren der verbliebenen börsennotierten Bestandshalter von Wohnimmobilien zu schlucken. Eigentlich würde die LEG Immobilien mit ihrem stark auf Nordrhein-Westfalen fokussierten Portfolio recht gut zu ihr passen. Dadurch entstünde ein Immobiliengigant mit einem Wohnungsbestand von insgesamt rund 730.000 Einheiten.

Die Malaise der Projektentwickler spiegelt sich an der Börse wider

Doch Frank Kopfinger, Head of Investor Relations der LEG Immobilien, wiegelt ab: "Es ist in diesem Zusammenhang oft von Skaleneffekten die Rede. Aber das Immobilienportfolio von Vonovia ist völlig anders strukturiert als unseres, insofern wäre es schon sehr fraglich, ob da ein Zusammenschluss prinzipiell sinnvoll wäre."

Die Zeit unmittelbar vor der drastischen Renditewende an den Kapitalmärkten hatte Vonovia genutzt, um fleißig Geld zu günstigen Konditionen bei Investoren loszueisen. "Da wird man künftig wohl zurückhaltender agieren", sagt Stippig. Das verwundert nicht. Der Verschuldungsgrad oder Loan to Value (LTV) des Branchenprimus beträgt wie bei LEG Immobilien 43 Prozent, bei TAG Immobilien sogar 47 Prozent. "Auf den ersten Blick mag ein LTV um die 45 Prozent akzeptabel erscheinen", so der Experte. Allerdings müssen Wohnungsvermieter ihre Gebäudebestände möglichst rasch klimaeffizient sanieren. "Das aus dem laufenden Cashflow zu stemmen, könnte bei anhaltend hoher Preisdynamik, etwa für Baumaterialien, zu einem schwierigen Balanceakt werden", findet der Branchenkenner. Da ist genügend finanzielle Power wichtig. Der Immobilienaktienanalyst rät daher Vonovia & Co., die Verschuldung schnell unter die 40-Prozent-Marke zu drücken.

"Diese Situation habe ich an den Immobilienmärkten noch nicht erlebt", stellt Oliver Schweizer, Leiter des Immobiliensektors bei EY Deutschland, fest. Worauf er anspielt, ist, dass Energie- und Baukosten sowie Verbraucherpreise und Zinsen gleichzeitig steigen. Die Malaise, in der auch viele börsennotierte Projektentwickler stecken, spiegeln deren Aktienkurse wider. Binnen zehn Monaten (15.8.2021 bis 15.6.2022) gaben die Kurse von Instone knapp 60 Prozent, von Bonava fast 65 Prozent und von Consus um über 90 Prozent nach. Consus ist Teil der Adler Group, der das Wasser bis zum Hals steht. Das Geschäftsjahr 2021 schloss sie mit über einer Milliarde Euro Verlust ab. Um finanziell wieder auf die Beine zu kommen, verkaufte die Immobiliengruppe einen Großteil ihrer Immobilien.

Von mehr als 50.000 Wohnungen, die sich Ende des vergangenen Jahres im Portfolio befanden, wurde rund die Hälfte abgegeben. Davon sicherte sich die LEG Immobilien 15.400 Einheiten (Kaufpreis: 1,3 Milliarden Euro). "Das war ein kluger Schachzug", lobt Stippig. Weit weniger clever agierte wohl Vonovia, die im Herbst vergangenen Jahres sogar mit einer Übernahme von Adler geliebäugelt hatte. Deren Topmanager Buch hat dieses Vorhaben aber aufgegeben. Momentan ist Vonovia nach Ausübung des Pfandrechts für einen Kredit von 250 Millionen Euro an einen Adler-Großaktionär mit 20,5 Prozent an der Adler Group beteiligt. Im Interview mit einer Tageszeitung verriet Buch kürzlich: Man wolle das Adler-Aktienpaket nicht aufstocken und sei perspektivisch bereit, sich von der Beteiligung womöglich zu trennen. Ferner prüft Vonovia wohl, die Pflegeheimsparte abzugeben, die sie bei der Fusion mit der Deutschen Wohnen mit erworben hatte (Wert: rund 1,2 Milliarden Euro). Darüber hinaus soll künftig ein größerer Anteil der selbst gebauten Wohnungen verkauft werden.

Die Immobilienmärkte verharren in einer Art Zinsschockstarre

"In Deutschland wird unser Immobilienportfolio (Bestand: 88.000 Wohnungen) wegen des sehr hohen Preisniveaus nicht aufgestockt, sondern durch gezielte Verkäufe reduziert", kündigt Martin Thiel, Finanzvorstand TAG Immobilien, an. Bei der LEG Immobilien etwa stehen bis zu 5.000 Wohnungen zum Verkauf, und statt 1.000 Wohnungen pro Jahr werden in diesem und im nächsten Jahr maximal 500 neue Einheiten fertiggestellt. Ob sich dafür Interessenten finden lassen?

"Die stark gestiegenen Fremdkapitalkosten erschweren Transaktionen", sagt Sebastian Grimm, Leiter Immobilienbewertungen bei JLL Deutschland. Im ersten Quartal 2022 fiel der Investmentumsatz auf vier Milliarden Euro und lag damit um ein Drittel unter dem Fünfjahresschnitt.

Vom aktuellen Szenario dürfte profitieren, wer genügend Eigenkapital in der Hinterhand hat. "Die Fremdkapitalquote unserer Wohnimmobilienpublikumsfonds liegt unter zehn Prozent“, sagt etwa Thomas Meyer, Vorstandsvorsitzender der Wertgrund Immobilien AG. In drei Cash Calls wurden etwa 140 Millionen Euro bei Anlegern frisch eingesammelt.

"Da entwickelt sich ein interessantes brisantes Umfeld", so Meyer. Machen sich am Markt Unsicherheit und Vorsicht breit, kann das Preisgefüge in Bewegung geraten, das in manchen Regionen Deutschlands ohnehin schwindelerregend ist. In München (erstes Quartal 2022) muss für den Kauf von Wohnimmobilien laut einer Studie von Empirica fast die 50-fache Jahresmiete hingeblättert werden. Anderswo wird es kaum günstiger: In Hamburg und Stuttgart wird etwa die 45-fache, in Berlin die 40-fache Jahresmiete fällig.

Der Bestand muss schnell klimaeffizient werden

Die Situation mutet kurios an. "Gerade in Ballungsräumen ist Wohnraum knapp, aber wegen des hohen Kostendrucks werden Projektentwicklungen zurückgestellt oder verzögert", weiß Schweizer. Andererseits verengt sich der Markt für sanierungsbedürftige Bestände, da institutionelle Anleger und Immobilienfonds oftmals ESG-konforme Objekte bevorzugen. Um die Werthaltigkeit ihres Immobilienbestandes zu sichern, sollten auch Wohnungskonzerne ihre Bestände schnell auf Klimaeffizienz trimmen. Hierfür will die TAG Immobilien – verteilt auf etwa 25 Jahre – voraussichtlich knapp 700 Millionen Euro investieren. Die Kostenbelastung werde sozialverträglich auf Vermieter und Mieter verteilt und durch staatliche Förderung flankiert, heißt es.

Das Thema "Mieten und Kostendruck" dürfte allerdings die Gemüter in den kommenden Jahren weiter erhitzen. Als Vonovia-Vorstandschef Buch kürzlich darauf pochte, dass bei einer dauerhaft höheren Inflation die Mieten ebenfalls entsprechend steigen müssten, löste das viel öffentliche Entrüstung aus. "In Wohnimmobilien wird nur investiert, wenn das rentabel ist. Da tickt Vonovia nicht anders als andere Vermieter", sagt Wertgrund-Vorstandschef Meyer. Dass das der Branchenprimus schafft, daran zweifelt Meyer nicht. Im Gegensatz zu anderen vor allem institutionellen Investoren hat er seine Vonovia-Aktien (noch) nicht verkauft.

Der Beitrag erschien inklusive Interview Frank Kopfinger, Head of Investor Relation der LEG Immobilien, im Fachmagazin "Immobilienwirtschaft", Ausgabe 7+8/2022.


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