BGH: Mahnbescheid trotz angekündigtem Widerspruch nicht mutwillig

Die mit einem Antrag auf Mahnbescheid beabsichtigte Rechtsverfolgung wird durch die Ankündigung eines Widerspruchs durch den Antragsgegner allein noch nicht aussichtslos und ist deshalb auch nicht mutwillig. Zur Beurteilung bedarf es einer umfassenden Würdigung der Gesamtumstände.

Der BGH hat eine Grundsatzentscheidung zu der Frage getroffen, ob für ein Mahnverfahren Prozesskostenhilfe auch dann gewährt werden kann, wenn die Einlegung eines Widerspruchs durch den Gegner als sicher erscheint.

Antragsgegner kündigt Einlegen eines Widerspruchs an

Ein Insolvenzverwalter hatte beim zuständigen AG einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für den Erlass eines Mahnbescheids wegen einer Forderung aus Werkvertrag gestellt. Das AG hat den Antragsgegner angehört. Dieser hat die Einlegung eines Widerspruchs bei Beantragung des Mahnbescheids angekündigt.

Vorinstanzen lehnten Prozesskostenhilfeantrag ab

Nach Auffassung des AG beseitigte die Ankündigung der Widerspruchseinlegung die Erfolgsaussicht des Mahnverfahrens. Da der Widerspruch zweifelsfrei angekündigt worden sei, sei das eigentliche Ziel des Mahnverfahrens, auf kurzem Wege zu einem Vollstreckungstitel zu gelangen, nicht erreichbar. Das AG lehnte den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe daher mangels Erfolgsaussicht des Mahnverfahrens daher ab. Die sofortige Beschwerde beim LG blieb erfolglos. Der BGH gab der vom LG zugelassenen Rechtsbeschwerde statt.

Hinreichende Erfolgsaussicht ist Voraussetzung jedes Prozesskostenhilfebegehrens

Der Senat stellte klar, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Mahnverfahren grundsätzlich isoliert möglich ist (BGH, Beschluss v. 10.8.2017, III ZA 42/16). Voraussetzung sei aber auch hier gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Antragstellers hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Hierbei sei die Erfolgsaussicht allerdings nicht nach den gleichen Kriterien wie im Klageverfahren zu beurteilen. Da im Mahnverfahren keine Schlüssigkeitsprüfung des geltend gemachten Anspruchs und auch keine Begründetheitsprüfung erfolge, habe eine solche Prüfung auch im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens zu unterbleiben.

Ankündigung eines Widerspruchs beseitigt die Erfolgsaussicht nicht

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist die Ankündigung des Anspruchsgegners, Widerspruch gegen einen Mahnbescheid einlegen zu wollen, nach Auffassung des BGH allerdings nicht das entscheidende Kriterium für die Prüfung der Erfolgsaussicht des Mahnverfahrens.

Die mangelnde Aussicht, zu dem mit der Einleitung eines Mahnverfahrens erstrebten schnellen Vollstreckungstitel in Form eines Vollstreckungsbescheides zu kommen, sei nicht der einzige legitime Zweck für die Einleitung eines Mahnverfahrens. Das Mahnverfahren biete dem Antragsteller nämlich gegenüber der sofortigen Einleitung eines Klageverfahrens eine ganze Reihe von weiteren Vorteilen.

Mahnverfahren bietet Kostenvorteile

Der BGH betonte, dass ein Mahnverfahren gemäß §§ 696 f ZPO als Vorstufe zu einem Klageverfahren dienen könne und mit dem Vorzug verbunden sei, das Verfahren nach Maßgabe des § 689 ZPO ohne anwaltliche Unterstützung einleiten zu können. Der Anspruchsteller brauche den geltend gemachten Anspruch lediglich ausreichend zu individualisieren, was im Vergleich zur Einreichung einer Klageschrift eine erhebliche Erleichterung und insbesondere bei Verzicht auf anwaltliche Unterstützung auch einen erheblichen Kostenvorteil bedeute.

Bedürftige Parteien dürfen nicht benachteiligt werden

Daneben führe die Zustellung des Mahnbescheids gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB zur Verjährungshemmung. Der BGH sah keinen Grund, diese Vorteile des gerichtlichen Mahnverfahrens einer bedürftigen Partei vorzuenthalten und diese damit im Vergleich zu einer nichtbedürftigen Partei schlechter zu stellen.

BGH verneint Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung

Im Ergebnis kann nach der Entscheidung des BGH die hinreichende Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht allein wegen eines vom Antragsgegner angekündigten Widerspruch verneint werden. Im konkreten Fall erscheine die beabsichtigte Rechtsverfolgung auch nicht als mutwillig im Sinne von § 114 Abs. 2 ZPO.

Wann ist Rechtsverfolgung laut BGH mutwillig?

Mutwillig sei die beabsichtigte Rechtsverfolgung nur dann, wenn eine vernünftige Partei bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände und bei sachgerechter Einschätzung der Sach- und Rechtslage im konkreten Fall von einer Rechtsverfolgung absehen würde. Umstände, die auf eine solche Mutwilligkeit hindeuten, seien im konkreten Fall nicht ersichtlich.

Rechtsbeschwerde erfolgreich

Der BGH gab damit der Rechtsbeschwerde des Insolvenzverwalters statt und verwies die Rechtssache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das AG zurück. Dieses habe insbesondere noch die erforderliche Gesamtwürdigung vorzunehmen und die Voraussetzungen des § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO (unzureichende Insolvenzmasse) zu prüfen.

(BGH, Beschluss v. 21.8.2019, VII ZB 48/16).

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Hintergrund:

In der Vergangenheit hat der BGH in einigen Fällen, in denen vom Antragsgegner ein Widerspruch angekündigt war, die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Antragstellers als mutwillig gewertet (BGH, Beschluss v. 31.8.2017, III ZB 37/17; BGH Beschluss v. 11.1.2018, III ZB 87/17). Diese Ablehnungsbeschlüsse beruhten nach Auffassung des Senats aber nicht auf einer isolierten Bewertung der Ankündigung eines Widerspruchs, sondern auf der Gesamtwürdigung der jeweiligen konkreten Umstände. Der BGH sieht daher in seiner jetzigen Entscheidung keine Abweichung von seiner bisherigen Entscheidungspraxis.

Praxishinweis:

Versagung der Prozesskostenhilfe wegen Mutwilligkeit

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung darf nach § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht mutwillig erscheinen. Die Mutwilligkeit wird in § 114 Abs. 2 ZPO definiert.

  • Mutwillig ist eine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
  • Das hypothetische Verhalten einer selbstzahlenden Partei, die sich in der Situation des Antragstellers befindet, ist folglich der Maßstab, der bei der Beurteilung der Mutwilligkeit anzulegen ist.

Verfassungsrechtlich ist lediglich geboten, den Unbemittelten hinsichtlich seiner Zugangsmöglichkeiten zum Gericht einem solchen Bemittelten gleichzustellen, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt.

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium


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