Wenn ein Elternteil mit dem "Scheidungskind" ins Ausland geht
Das Sorgerecht eines Elternteils für ein gemeinsames Kind und das Umgangsrecht des anderen Elternteils sind im Idealfall zwei Seiten derselben Medaille. Diese Harmonie existiert in der Praxis jedoch nicht wirklich oft. Häufig steht ein Elternteil dem Umgangsbedürfnis des anderen mit dem gemeinsamen Kind desinteressiert gegenüber.
Gemeinsames Sorgerecht für 2-jährige Tochter
Die getrennt lebenden Eheleute hatten die gemeinsame Sorge über die zweijährige Tochter. Die Mutter – gebürtige Irin – entschloss sich, mit dem Kind nach Irland überzusiedeln.
- Sie stellte den Antrag auf Zuerkennung des alleinigen Sorgerechts.
- Da die Ausreise von Mutter und Kind nach Irland unmittelbar bevorstand, beantragte der Vater im Wege der einstweiligen Anordnung die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihn.
- Er machte geltend, dass nach Übersiedlung von Kind und Mutter nach Irland ein kontinuierlicher Umgang mit seiner Tochter kaum noch möglich sei.
Früher oder später werden sich das Kind von ihm völlig entfremden.
Interessenlage des Kindes ist entscheidend
Das OLG Nürnberg stellte bei seinen Überlegungen das Wohl des Kindes in den Vordergrund. Zu gewichten war nach Auffassung des Senats zunächst das Interesse des Kindes, bei der Mutter zu bleiben. Immerhin hätte diese bisher die wesentlichen Erziehungsaufgaben übernommen. Auch zeitlich sei das Kind wesentlich häufiger mit seiner Mutter als mit dem Vater zusammen gewesen. Zwar habe die Tochter ein natürliches Interesse, die Beziehung zu ihrem Vater aufrechtzuerhalten, die Mutter-Tochter-Beziehung sei im vorliegenden Fall aber eindeutig die stärkere Verbindung, so dass es das Wohl des Kindes erfordere, das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei der Mutter zu belassen.
Das Umgangsrecht ist das schwächere Recht
Nach Auffassung des OLG ist bei der Entscheidung auch zu berücksichtigen, dass das Sorgerecht dem Berechtigten eine deutlich stärkere Rechtsposition gewährt als das Umgangsrecht, das gegebenenfalls dem Vater einzuräumen wäre. Der Nachteil, dass die Umgangskontakte zwischen Vater und Kind in Zukunft deutlich erschwert würden, müsse im Interesse des Kindes hingenommen werden (OLG Nürnberg, Beschluss v. 14.03.2012, 10 UF 1899/11).
OLG Koblenz entschied anders
In einem ähnlichen aber nicht völlig gleich gelagerten Fall kam das OLG Koblenz zu einer anderen Entscheidung. Eine Mutter hatte das alleinige Sorgerecht beantragt, weil sie mit ihrem Kind nach Italien ziehen wollte. Dort hatte sie eine Beziehung zu einem Mann aufgenommen, mit dem sie zusammen leben wollte. Diese Begründung reichte dem OLG Koblenz nicht.
Das OLG wertete die Rechtsposition des Vaters stärker als das OLG Nürnberg. Dies beruhte allerdings auch darauf, dass nach Auffassung der Richter die Kindesmutter u.a. auch zu dem Zweck nach Italien ziehen wollte, um das Umgangsrecht des Kindesvaters zu torpedieren.
Nach Auffassung des OLG-Senats ist das Sorgerecht in solchen Fällen nur dann auf den umsiedlungswilligen Elternteil zu übertragen, wenn dieser plausible und triftige Gründe für seinen Umsiedlungswunsch vorbringt (OLG Koblenz, Beschluss v. 04.05.2010, 11 UF 149/10).
BGH stellt Kindeswohl im Vordergrund
In einem ähnlich gelagerten Auswanderungsfall hat der BGH hervorgehoben, dass gemäß § 1671 BGB das Kindeswohl in den Vordergrund der Entscheidung zu stellen sei. Hierbei seien
- die Bindungsstärke des Kindes zum jeweiligen Elternteil,
- die Beziehungskontinuität
- aber auch die Kontinuität der Umgebung (Verwandten- und Freundeskreis)
- sowie die Erziehungseignung des jeweiligen Elternteils zu berücksichtigen.
Nicht entscheidend ist nach Auffassung des BGH, ob der Auswanderungswillige triftige Gründe für seinen Auswanderungswunsch hat.
Auswandern um den anderen Elternteil abzuhängen?
Vermittle der Auswanderungswillige den Eindruck, er wolle durch die Auswanderung das Umgangsrecht des anderen Elternteils torpedieren, so könne dies gegebenenfalls Zweifel an seiner Toleranzfähigkeit und damit seiner Erziehungseignung begründen.
Im übrigen habe das Familiengericht den Auswanderungswunsch zu respektieren und davon auszugehen, dass der Auswanderungswillige seinen Entschluss in die Tat umsetzen werde. Vor diesem Hintergrund habe das Gericht durch umfassende Tatsachenermittlungen die Folgen für das Kindeswohl umfassend zu gewichten und seine Entscheidung zu treffen (BGH, Beschluss v. 28.04.2010, XII ZB 81/09).
Vgl. zum Thema Umgangsrecht
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