Befangener Gutachter - nur eine Partei zum Augenschein bestellt
In dem entschiedenen Fall hatte die Antragsgegnerin den Sachverständigen in einem selbstständigen Beweisverfahren wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
Augenschein unter vier Augen?
Der Sachverständige habe einen Ortstermin zum Zwecke der Begutachtung in den Räumlichkeiten in der Antragstellerin durchgeführt, ohne zuvor die Antragsgegnerin hiervon in Kenntnis zu setzen.
Außerdem habe der Sachverständige sich in seinem Gutachten zu Rechtsfragen geäußert, obwohl dies nicht zu seinem Aufgabenkreis gehöre. Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch der Antragsgegnerin zurückgewiesen. Mit ihrer sofortigen Beschwerde wendete sich die Antragsgegnerin gegen diesen Beschluss und begründet diese im Wesentlichen unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
Schon der Anschein von Befangenheit reicht
Das Ablehnungsgesuch sei berechtigt, entschied das Oberlandesgericht Hamm. Ein Ablehnungsgrund gegen den Sachverständigen im Sinne von § 406 Abs. 1, 42 Abs. 2 ZPO sei vorliegend gegeben.
- Nach dieser Vorschrift kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen.
- Daher ist die Ablehnung eines Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit berechtigt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen.
- Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteilich gegenüber.
- Die Ablehnung des vom Gericht beauftragten Sachverständigen setzt nicht voraus, dass der Sachverständige tatsächlich parteilich ist oder dass das Gericht selbst Zweifel an seiner Unparteilichkeit hat.
- Für eine Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit genügt vielmehr der bei dem ablehnenden Prozessbeteiligten erweckte Anschein der Parteilichkeit. Maßgebend dafür ist aber die objektive Sicht einer vernünftigen Partei.
Fragerecht betroffen
Das Unterlassen der Benachrichtigung der Antragsgegnerin von dem Begutachtungstermin stellt einen Verfahrensfehler seitens des Sachverständigen dar. Dieser Verfahrensfehler ergibt sich daraus, dass es den Parteien gestattet ist, der Beweisaufnahme, wozu auch die Ortsbesichtigung durch den Sachverständigen gehört, beizuwohnen.
„Es handelt sich dabei nicht um eine bloße Förmlichkeit, sondern durch die Mitwirkung der Parteien bei der Beweisaufnahme sollen
- etwaige Unklarheiten und Unzulänglichkeiten beseitigt
- und gegebenenfalls Fehler korrigiert werden.
- Das Sachverständigengutachten ist für den Ausgang eines Rechtsstreits oft entscheidend.
- Deshalb müssen die Parteien sich darauf verlassen können, dass der Sachverständige in seinem Ergebnis noch nicht festgelegt ist, solange die Parteien ihr Fragerecht noch nicht ausgeübt haben und die Begutachtung nicht abgeschlossen ist“,
betonen die Hammer Richter. Das war beim Fehlen einer Partei natürlich nicht zu leisten.
Verfahrensfehler ist allein noch kein k.o.-Kriterium
Allerdings rechtfertigt ein Verfahrensfehler eines Sachverständigen nicht ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit. Erforderlich ist vielmehr, dass sich etwa durch die Art oder Häufung von Verfahrensfehlern zum Nachteil einer Partei bei der vernünftigen und besonnenen Partei der Eindruck unsachlicher Einstellung oder willkürlichen Verhaltens des abgelehnten Sachverständigen ergibt.
Durch den Verfahrensfehler in der Vorbereitung des Ortstermins und in der Gestattung der Anwesenheit und Mitwirkung der Antragstellerin bei dem in Abwesenheit der Antragsgegnerin durchgeführten Ortstermin hat der Sachverständige den Eindruck einer willkürlichen Benachteiligung der Antragsgegnerin erweckt.
Augenschein war von zentraler Bedeutung für das Verfahren
Dies gilt hier insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die Verfahrensbeteiligten gerade darüber streiten, ob das von der Antragsgegnerin gelieferte Röntgengerät mangelbehaftet ist, wie die Antragstellerin behauptet, oder ob die von der Antragstellerin monierte Fehlfunktion auch auf Bedienungsfehler in deren Praxis zurückzuführen ist.
Das Anwesenheitsrecht beim Ortstermin soll den Beteiligten die Möglichkeit eröffnen, dem Sachverständigen Fragen zu stellen und Hinweise zu geben und so dazu beizutragen, dass dem Gutachten eine zutreffende Tatsachenermittlung zugrunde liegt. Zugleich können sie sich einen persönlichen Eindruck von dem Begutachtungsgegenstand verschaffen, um so eine ausreichende Grundlage für ihren Sachvortrag und die rechtliche Bewertung zu erhalten.
Beeinflussungen sollen vermieden werden
Schließlich ist die Anwesenheit aller Beteiligten geeignet, einseitigen Beeinflussungen des Sachverständigen auszuschließen. Aufgrund der Verfahrensweise des Sachverständigen habe die Antragsgegnerin diese Rechte nicht wahrnehmen können, stellte das Gericht fest.
Missverständnis des Sachverständigen
Zwar hat der Sachverständige in seiner Stellungnahme ausgeführt, dass es in der Vorbereitung des Ortstermins bedauerlicher Weise vergessen worden sei, die Antragsgegnerin vom Ortstermin zu benachrichtigen.
„Dies hätte ihm aber auch zu Beginn des Ortstermins auffallen können, so dass ein neuer Ortstermin anzusetzen gewesen wäre. Selbiges gilt bezogen auf den Zeitpunkt der Abfassung des schriftlichen Gutachtens, denn auch hierbei hätte dem Sachverständigen sein Versäumnis auffallen können und er hätte einen neuerlichen Ortstermin in Erwägung ziehen müssen“,
kritisierte das OLG Hamm.
Kumulierten Unterlassungen führen Sachverständigen in das Aus
Diese kumulierten Unterlassungen begründeten in der Zusammenschau mit dem ursprünglichen Benachrichtigungsversäumnis auch aus Sicht einer vernünftigen und besonnenen Partei den verständlichen Eindruck, die Neutralität des Sachverständigen gegenüber den Parteien, vorliegend insbesondere gegenüber der Antragsgegnerin, sei beeinträchtigt.
- Dieser Eindruck wird nicht dadurch ausgeräumt, dass der Sachverständige in seiner Stellungnahme erklärt hat, eine Anwesenheit der Antragsgegnerin wäre auf die Abläufe und die Bewertung im Rahmen des Ortstermins ohne Auswirkung gewesen.
- Dieses offenbare Missverständnis der Bedeutung des Anwesenheitsrechts der Parteien entkräftet nicht den äußeren Anschein mangelnder Unparteilichkeit.
(OLG Hamm, Beschluss vom 7.5.2015, 32 W 7/15).
Vgl zu dem Thema auch:
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