BGH zu beA-Fristwahrung bei technischem Problem am Gerichtserver

Sobald die Berufungsbegründungsschrift, die via beA eingereicht wird, auf dem Gerichtsserver ist, ist sie wirksam eingegangen. Das befand der BGH in eine Grundsatzentscheidung zur Wahrung der Frist zur Berufungsbegründung bei Übermittlung des Schriftsatzes über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA).

Die Berufungsbegründungsfrist ist - egal wie sie bei Gericht aufgenommen wird - schon gewahrt, wenn der Rechtsanwalt die Berufungsbegründungsschrift so über sein beA an das Berufungsgericht versendet, dass sie fristgerecht auf dem Gerichtsserver eingeht. Nicht erforderlich ist, dass der Schriftsatz von einem Client-Rechner des Gerichts abgerufen und ausgedruckt wird, denn dabei handelt es sich um gerichtsinterne Vorgänge, die für den förmlichen Eingang des Schriftsatzes ohne Bedeutung sind.

Berufungsbegründung wurde fristgerecht elektronisch versandt

In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte ein Berufungsgericht eine Berufung als unzulässig verworfen mit der Begründung, die Frist zur Begründung der Berufung sei abgelaufen, ohne dass eine Berufungsbegründungsschrift eingegangen sei.

  • Tatsächlich hatte die Anwältin des Berufungsklägers die Berufungsbegründungsschrift über sein beA aber innerhalb der Berufungsbegründungsfrist an das für die Berufung zuständige OLG versandt.
  • Der Schriftsatz war auch vor Fristablauf auf dem Gerichtsserver eingegangen.
  • Infolge eines technischen Fehlers war der Berufungsbegründungsschriftsatz aber weder abgerufen noch ausgedruckt
  • ist also weder zur elektronischen Akte des zuständigen Senats  gelangt
  • noch als Textausdruck in der Papierakte gelandet. 

Hinweis des Gerichts auf fehlenden Eingang der Berufungsbegründung

Das deshalb ahnungslose  Berufungsgericht hatte den Berufungskläger auf die aus seiner Sicht -  in Unkenntnis des Eingangs der Berufungsbegründungsschrift - gegebene Fristversäumnis in einem schriftlichen Beschluss hingewiesen. Auf diesen Hinweis hat der Berufungskläger länger als einen Monat nicht reagiert. Erst mit einem am 16.10.2019 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz übersandte der Prozessvertreter des Berufungsklägers dem Gericht einen „Screen-shot“ der vom EGVP automatisch erstellten Eingangsbestätigung. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Berufungsgericht bereits einen Verwerfungsbeschluss erlassen, der den Berufungskläger am 18.10.2019 zugestellt wurde.


Gerichtsinterna haben keinen Einfluss auf die Fristwahrung

Die gegen den Verwerfungsbeschluss eingelegte Rechtsbeschwerde des Berufungsklägers war erfolgreich. Der BGH stellte unzweideutig klar:

Der rechtzeitige Eingang eines über das beA eingereichten Schriftsatzes auf dem Gerichtsserver genügt gemäß § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO zur Fristwahrung (BGH, Beschluss v. 14.5.2020, X ZR 119718).

Der Umstand, dass das elektronische Dokument weder von dem Client- Rechner des Berufungsgerichts abgeholt noch ausgedruckt worden war, ist für den rechtzeitigen Eingang unerheblich. Gerichtsinterne Vorgänge seien nach ständiger Rechtsprechung für den Zeitpunkt des Eingangs eines Dokuments unerheblich und könnten niemals zum Nachteil der Verfahrensbeteiligten gehen (BGH, Beschluss v. 28.5.2020, I ZR 214/19).

Späte Stellungnahme des Berufungsklägers schadet nicht

Entgegen der Auffassung des Berufungsbeklagten ändert an diesem Ergebnis nach dem Beschluss des BGH auch die Tatsache nichts, dass der Berufungskläger bzw. dessen Prozessvertreterin auf den Hinweis des Gerichts auf die vermeintliche Fristversäumnis über die Dauer von mehr als einem Monat nicht reagiert hat. Die einschneidende Folge einer Verwerfung der Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist komme in solchen Fällen lediglich dann in Betracht, wenn der Partei vom Gericht eine Frist zur Stellungnahme gesetzt wurde und/oder nach einem solchen Hinweis so viel Zeit verstreicht, dass das Gericht mit einer Stellungnahme schlechterdings nicht mehr rechnen könne. Diese strengen Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. 

Der BGH gab der Rechtsbeschwerde damit in vollem Umfang statt.

(BGH, Beschluss v. 25.8.2020, VI ZB 79/19).

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Hintergrund: Sorgfaltspflichten gelten nicht nur für die Rechtsanwälte

Der BGH hat in den letzten Monaten in einer Reihe von Entscheidungen die Anforderungen an die Fristenkontrolle durch den Rechtsanwalt als Prozessvertreter - insbesondere bei Berufungsbegründungsfristen - näher spezifiziert. Hierbei hatte der BGH die Verpflichtung des Anwalts zu eindeutigen Anweisungen an seine Mitarbeiter bei der Versendung von

Telefax-Schreiben (BGH, Beschluss v. 28.1.2018, IX ZB 4/17; BGH, Beschluss v. 20.4.2020, VI ZB 49/19), die Verpflichtung zum Ausschluss von Fehlerquellen beim bürointernen Umgang mit Rechtsmittelfristen (BGH, Beschluss v. 29.10.2019, VIII ZB 103/18) sowie zu einer zweistufigen Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze postuliert (BGH, Beschluss v. 17.3.2020, VI ZB 99/19). Diese Entscheidungen finden in dem nun ergangenen Beschluss eine angemessene Ergänzung. Der BGH signalisiert mit seiner Entscheidung, dass er nicht nur die Anwälte, sondern auch die Gerichte bei der Sorgfalt im Umgang mit fristgebundenen Schriftsätzen in der Pflicht sieht.

Zeitplan für den Elektronischen Rechtsverkehr 

Der Übergang in den Elektronischen Rechtsverkehr (ERV) verläuft in Etappen:

Änderungen im Überblick

Inkrafttreten

Beweiskraft gescannter öffentlicher elektronischer Dokumente

17.10.2013


Verordnung zu elektronischen Formularen

Zustellung elektronischer Dokumente

Beweisvermutung DE-Mail und qualifizierte elektronische Signatur.

Schutzschriftenregisterverordnung

1.7.2014


Einführung elektronischer Formulare, Schutzschriftenregister, besonderes elektronisches Anwaltspostfach „beA“ (Start mehrfach verschoben bzw. gestoppt)

1.1.2016


Pflicht zur Verwendung des elektronischen Schutzschriftenregisters

1.1.2017


„passive beA-Nutzungspflicht“

Elektronische Aktenführung, elektronische Einreichung von Dokumenten, Vernichtung von Papierakten nach 6 Monaten;

1.1.2018


Verschiebungsmöglichkeit der Einführung der Regelungen zum 1.1.2018 durch die Länder

1.1.2019 / 1.1.2020


Komplette Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs, Vorziehung durch Länder möglich

1.1.2022 / 1.1.2021/ 1.1.2020


Nur noch elektronische Klage zulässig; Papierklage durch Anwälte wird endgültig formunwirksam